Alain Resnais

Ihr werdet euch noch wundern

Nicht ohne meine Cohiba-Zigarre: Michel Piccoli steckt sich eine an. Foto: Alamode Film
(Kinostart: 6.6.) Film im Theater im Film: In mehrfacher Brechung erzählt Altmeister Alain Resnais mit großem Star-Aufgebot den Mythos von Eurydike und Orpheus. Das brillant vielschichtige Kammerspiel grundiert tiefschwarze Melancholie.

In Frankreich ist manches anders. Französische Frauen werden nicht dick, und französische Regisseure machen Filme, um mit schönen Frauen schöne Dinge zu tun. In diesen Filmen ist die Liebe oft eine tragische, wahlweise tragikomische Angelegenheit, über die in jedem Fall viel gesprochen werden muss. All das spricht nicht gegen französische Filme, im Gegenteil.

 

Info

Ihr werdet euch noch wundern

 

Regie: Alain Resnais

105 Min., Frankreich / Deutschland 2012

mit: Sabine Azéma, Pierre Arditi, Lambert Wilson, Mathieu Amalric

 

Website zum Film

Aus diesen Hauptbestandteilen – schlanke Frauen, schöne Dinge, schwierige Liebe und geistreiche Konversation – sind schon viele cineastische Perlen hergestellt worden. Einer der Altmeister dieses französischen Films, Alain Resnais, der originell verspielte Genre-Zwitter wie «Smoking/ No Smoking» (1993) und «Das Leben ist ein Chanson» (1997) in Szene gesetzt hat, zeigt das abermals mit seinem neuesten Film.

 

Zwei Anouilh-Stücke als Vorlagen

 

Auch «Ihr werdet euch noch wundern» ist ein stilistisches Amalgam. Resnais bedient sich zweier dramatischer Vorlagen von Jean Anouilh: der Stücke «Eurydice» (1941) und «Cher Antoine» (1969). Beide hat er zu einer Handlung verwoben und eine beeindruckende Riege französischer Schauspiel-Stars als Darsteller verpflichtet.


Offizieller Filmtrailer


 

Zuschauer beginnen, selbst zu spielen

 

Sie agieren in einem antikisierenden Setting, das einem Theater ähnelt. Zu Beginn erfahren sie, der Dramatiker Antoine d’Anthac sei gestorben. Dessen letzter Wille sei, all seine Freunde auf seinem Landsitz zu versammeln, wo sie sich nun einfinden: Sabine Azéma, Pierre Arditi, Michel Piccoli und all die anderen – als sie selbst; als die Schauspieler, die sie sind.

 

In dem prächtigen, mit Säulen geschmückten Gebäude werden sie Zeugen der Film-Vorführung einer Inszenierung von Anouilhs «Eurydice». Während der Filmprojektion leben sie sich wieder in die Figuren ein, die sie einst auf der Bühne dargestellt haben – und beginnen, selbst zu spielen.

 

Alles ist nur Spiel

 

Oder fühlen sie sich nur, als spielten sie? Derweil ein junges Liebespaar auf der Leinwand agiert, vollziehen gleich zwei ältere ehemalige Bühnen-Paare das gleiche Geschehen parallel vor der Leinwand oder in den Räumen von Antoines Landsitz nach.

 

Hintergrund

 

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Resnais macht das sehr diffizil: Immer wieder schafft er Szenen, in denen die Illusion für Momente durch intensives Spiel der großartigen Darsteller perfekt scheint – nur um sie immer wieder zu brechen und zu zeigen, dass alles nur Spiel ist, auf jeder Ebene. Zugleich durchdringt den Film ein existenzieller Ernst, der die ironische Leichtigkeit früherer Resnais-Filme vergessen macht.

 

Fluchtgedanken angesichts von Fallen

 

Durch die mehrfache Brechung der Handlung und die unveränderte Wiederholung derselben Dialoge aus dem Munde junger, nicht mehr so junger und recht alter Schauspieler, wird die Unveränderlichkeit des Schicksals – natürlich eines sehr französisch tragischen Liebesschicksals – zur Ausweglosigkeit in den immer gleichen Fallen, die das Leben stellt. Das ist ziemlich harter Stoff.

 

So brillant Resnais’ Alterswerk auch gemacht ist: Unweigerlich setzen irgendwann beim Zuschauer Fluchtgedanken ein; als natürliche Abwehrreaktion auf die inhaltlichen Konsequenzen, die Resnais’ fatalistische Grundprämisse nahe legt. Die einzige Fluchtmöglichkeit aus dem ewig gleichen Schicksalsspiel zeigt der Regisseur noch im überraschenden Epilog.

 

Resnais, ein Mitbegründer der nouvelle vague, ist mittlerweile 91 Jahre alt. Offensichtlich ist er noch im beneidenswerten Vollbesitz seiner intellektuellen und künstlerischen Kräfte. Doch nach diesem fatalistischen Spätwerk scheint es nicht so, als würde er noch viel vom Leben erwarten.