Besucher betrachten Bilder, Bilder schauen zurück? Ganz so interaktiv ist die Ausstellung „Blickwechsel“ in der Neuen Pinakothek nicht. Aber sie bringt Bewegung in den vertrauten Kanon von Meisterwerken des 19. Jahrhunderts und ihre gewohnte Hängung nach Schulen.
Info
Blickwechsel:
Pioniere der Moderne
17.04.2013 – 31.08.2013
täglich außer dienstags 10 bis 18 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr in der Neuen Pinakothek, Barer Straße 29, Eingang Theresienstraße, München
70 Gemälde wechseln die Seite
Die ist bis zum Herbst geschlossen, weil der Neubau bereits wieder saniert werden muss. Eine gute Gelegenheit, zusammenzuführen, was kunsthistorisch und stilistisch zusammengehört. Rund 70 Gemälde und eine Handvoll Skulpturen der Moderne haben die Seite der Barer Straße gewechselt und sind nun zeitweilig in der Neuen Pinakothek zu sehen.
Interview mit Kurator Oliver Kase + Impressionen der Ausstellung; © "Mythos Olympia"
Säle im Handstreich übernehmen
Nicht gebündelt, sondern als Konterbande verstreut: In manchen Sälen tauchen zwischen altbekannten Altmeistern plötzlich ein oder zwei Neuzugänge auf. Sie haben andere Säle quasi im Handstreich übernommen: Von den sonst hier hängenden Gemälden harren nur wenige aus.
Den Kuratoren geht es darum, Verbindungen aufzuzeigen: Große Maler des 19. Jahrhunderts gaben Impulse und stießen Entwicklungen an, die in den Avantgarden nach 1900 zur Entfaltung kamen. Dieses Mega-Thema allein mit hauseigenen Beständen veranschaulichen zu wollen, scheint ehrgeizig; naturgemäß klappt das mal mehr, mal weniger.
De Chiricos Gebäude schon bei Klenze
So überraschend wie überzeugend sind etwa Bilder von Giorgio de Chirico, die neben denen vom Münchener Hausheiligen Leo von Klenze hängen. Auf einmal sieht man, dass isolierte und starr strahlende Gebäude, die Chiricos pittura metafisica dominieren, schon Klenzes Architektur-Ansichten prägten.
Dass Paul Klee von Romantikern wie Caspar David Friedrich inspiriert wurde und selbst eine abstrakte und „kühle Romantik“ forderte, steht in jedem Kunst-Lexikon. Den hier gezeigten Werken lässt sich das jedoch kaum ablesen; die Formensprachen sind zu unterschiedlich.
Parallelen bei Böcklin und Max Ernst
Völlig stimmig ist wiederum der Saal, der Arnold Böcklin und Max Ernst vereint. Wie die Symbolisten mit ihrer Darstellung unbewusster Ängste und Wünsche zu Vorläufern der Surrealisten wurden, wird allerorten neu entdeckt – etwa in der großen Bielefelder Symbolismus-Schau im Frühjahr. Bei Böcklin und Ernst gehen die Korrespondenzen bis in Details von Bildaufbau und -gestaltung.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Constable, Delacroix, Friedrich, Goya: Die Erschütterung der Sinne" in der Galerie Neue Meister im Albertinum, Dresden
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Schönheit und Geheimnis" über den deutschen Symbolismus als andere Moderne in der Kunsthalle Bielefeld.
und hier einen Bericht über die Ausstellung "1912 - Mission Moderne", eine Rekonstruktion der Jahrhundertschau des Sonderbundes im Wallraf-Richartz-Museum, Köln
Beliebige Kontraste
Manche Kombinationen wirken arg konstruiert: etwa, wenn eine Atelier-Ansicht von James Ensor als Vorbild der Gruppen-Porträts von Max Beckmann und Karl Hofer herhalten soll. An anderer Stelle fallen eher Ähnlichkeiten zwischen Vertretern der Moderne selbst auf.
Wie bei der Skulptur einer Kauernden von Matisse, deren verschlungene Selbstumarmung genauso auf einem Beckmann-Bild zu finden ist. Und einige „Kontraste“ wirken völlig beliebig, etwa Otto Dix‘ neusachliches Herren-Porträt neben Moritz von Schwinds total verschmocktem „Aschenbrödel“-Fries.
Sicht- + erfahrbarer Zusammenhang
Doch insgesamt ist die Schau ein Glücksfall. Kunst ist ebenso wie Natur ein Kontinuum, das Begriffe und Unterteilungen stets zerstückeln. Dann lässt sich der ursprüngliche Zusammenhang nur noch erahnen. Diese Ausstellung macht ihn wieder sicht- und erfahrbar, zumindest in der Malerei. Eigentlich schade, dass die Sanierung der Pinakothek der Moderne schon im September vorbei ist.