München

Blickwechsel: Pioniere der Moderne

Paul Gauguin (1848 - 1903): Die Geburt – Te tamari no atua (L’enfant- Dieu), 1896. Foto: © Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Neue Pinakothek München
Zusammenführen, was zusammengehört: Da die Pinakothek der Moderne saniert wird, nimmt die Neue Pinakothek 70 Hauptwerke auf. Und hängt sie mitten in ihre ständige Ausstellung: So werden ungeahnte Verbindungen und Traditionen deutlich.

Besucher betrachten Bilder, Bilder schauen zurück? Ganz so interaktiv ist die Ausstellung „Blickwechsel“ in der Neuen Pinakothek nicht. Aber sie bringt Bewegung in den vertrauten Kanon von Meisterwerken des 19. Jahrhunderts und ihre gewohnte Hängung nach Schulen.

 

Info

Blickwechsel:
Pioniere der Moderne

 

17.04.2013 – 31.08.2013

täglich außer dienstags 10 bis 18 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr in der Neuen Pinakothek, Barer Straße 29, Eingang Theresienstraße, München

 

Weitere Informationen

Die Schau überschreitet Zeit- und Ortsgrenzen, entlang derer die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen ihre Bilderschätze sortieren: Werke bis 1900 gehören in die Neue Pinakothek, Arbeiten ab der Jahrhundertwende in die Pinakothek der Moderne.

 

70 Gemälde wechseln die Seite

 

Die ist bis zum Herbst geschlossen, weil der Neubau bereits wieder saniert werden muss. Eine gute Gelegenheit, zusammenzuführen, was kunsthistorisch und stilistisch zusammengehört. Rund 70 Gemälde und eine Handvoll Skulpturen der Moderne haben die Seite der Barer Straße gewechselt und sind nun zeitweilig in der Neuen Pinakothek zu sehen.

Interview mit Kurator Oliver Kase + Impressionen der Ausstellung; © "Mythos Olympia"


 

Säle im Handstreich übernehmen

 

Nicht gebündelt, sondern als Konterbande verstreut: In manchen Sälen tauchen zwischen altbekannten Altmeistern plötzlich ein oder zwei Neuzugänge auf. Sie haben andere Säle quasi im Handstreich übernommen: Von den sonst hier hängenden Gemälden harren nur wenige aus.

 

Den Kuratoren geht es darum, Verbindungen aufzuzeigen: Große Maler des 19. Jahrhunderts gaben Impulse und stießen Entwicklungen an, die in den Avantgarden nach 1900 zur Entfaltung kamen. Dieses Mega-Thema allein mit hauseigenen Beständen veranschaulichen zu wollen, scheint ehrgeizig; naturgemäß klappt das mal mehr, mal weniger.

 

De Chiricos Gebäude schon bei Klenze

 

So überraschend wie überzeugend sind etwa Bilder von Giorgio de Chirico, die neben denen vom Münchener Hausheiligen Leo von Klenze hängen. Auf einmal sieht man, dass isolierte und starr strahlende Gebäude, die Chiricos pittura metafisica dominieren, schon Klenzes Architektur-Ansichten prägten.

 

Dass Paul Klee von Romantikern wie Caspar David Friedrich inspiriert wurde und selbst eine abstrakte und „kühle Romantik“ forderte, steht in jedem Kunst-Lexikon. Den hier gezeigten Werken lässt sich das jedoch kaum ablesen; die Formensprachen sind zu unterschiedlich.

 

Parallelen bei Böcklin und Max Ernst

 

Völlig stimmig ist wiederum der Saal, der Arnold Böcklin und Max Ernst vereint. Wie die Symbolisten mit ihrer Darstellung unbewusster Ängste und Wünsche zu Vorläufern der Surrealisten wurden, wird allerorten neu entdeckt – etwa in der großen Bielefelder Symbolismus-Schau im Frühjahr. Bei Böcklin und Ernst gehen die Korrespondenzen bis in Details von Bildaufbau und -gestaltung.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Constable, Delacroix, Friedrich, Goya: Die Erschütterung der Sinne"  in der Galerie Neue Meister im Albertinum, Dresden

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Schönheit und Geheimnis" über den deutschen Symbolismus als andere Moderne in der Kunsthalle Bielefeld.

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "1912 - Mission Moderne", eine Rekonstruktion der Jahrhundertschau des Sonderbundes im Wallraf-Richartz-Museum, Köln

 

Ebenso unübersehbar ist, dass Paul Gauguins Südsee-Exotik Expressionisten wie Ernst Ludwig Kirchner, Ernst Heckel und Emil Nolde begeisterte. Sowie natürlich die Farbschlachten eines Van Gogh: Nicht nur Alexej Jawlensky trat willentlich in seine Fußstapfen. August Macke ließ sich dagegen eher von den Landschafts-Panoramen Claude Monets inspirieren.

 

Beliebige Kontraste

 

Manche Kombinationen wirken arg konstruiert: etwa, wenn eine Atelier-Ansicht von James Ensor als Vorbild der Gruppen-Porträts von Max Beckmann und Karl Hofer herhalten soll. An anderer Stelle fallen eher Ähnlichkeiten zwischen Vertretern der Moderne selbst auf.

 

Wie bei der Skulptur einer Kauernden von Matisse, deren verschlungene Selbstumarmung genauso auf einem Beckmann-Bild zu finden ist. Und einige „Kontraste“ wirken völlig beliebig, etwa Otto Dix‘ neusachliches Herren-Porträt neben Moritz von Schwinds total verschmocktem „Aschenbrödel“-Fries.

 

Sicht- + erfahrbarer Zusammenhang

 

Doch insgesamt ist die Schau ein Glücksfall. Kunst ist ebenso wie Natur ein Kontinuum, das Begriffe und Unterteilungen stets zerstückeln. Dann lässt sich der ursprüngliche Zusammenhang nur noch erahnen. Diese Ausstellung macht ihn wieder sicht- und erfahrbar, zumindest in der Malerei. Eigentlich schade, dass die Sanierung der Pinakothek der Moderne schon im September vorbei ist.