
Nachdem Pedro Almodóvar mit seinem letzten Film, dem eigenwilligen Horror-Melodram „Die Haut, in der ich wohne“, Stoff für nachhaltige Albträume lieferte, hat er mit „Fliegende Liebende“ nunmehr ein probates Gegenmittel entwickelt.
Info
Fliegende Liebende
Regie: Pedro Almodóvar,
90 Min., Spanien 2013
mit: Penélope Cruz, Antonio Banderas, Javier Cámara
Kein Platz für Privatsphäre
Sex, Alkohol, Drogen und der Umstand, aufgrund räumlicher Enge auch über privateste Dinge nur öffentlich kommunizieren zu können, sind die starken Antriebsfedern einer Handlung, deren hauptsächliches Ziel in der ultimativen Enttabuisierung aller persönlichen Verkorkstheiten liegt, die die Personen mit sich schleppen.
Offizieller Film-Trailer
Versehen mit bösen Folgen
Die Grenzsituation, der Almodóvars Filmpersonal diesmal ins Auge sehen muss, besteht darin, sich in einem Flugzeug zu befinden, das bei der Landung auseinanderzubrechen droht. Ein Techniker hat nämlich vergessen, bei einem der Fahrwerke die Bremsklötze zu entfernen, nachdem seine Frau ihm überraschend mitgeteilt hatte, dass sie schwanger ist. In diesen beiden Minirollen geben Penelope Cruz und Antonio Banderas einen kurzen Gastauftritt.
Als die Besatzung die Kalamität bemerkt, wird den Reisenden der Touristenklasse ein Schlafmittel eingeflößt. Die wenigen Passagiere der Businessklasse aber bleiben, ebenso wie die beiden Piloten und die drei schwulen Stewards, wach. Die ins Absurde gesteigerte Obertuntigkeit (in dieser Disziplin besonders grandios: Carlos Areces) des männlichen Kabinenpersonals wird bereits während der einleitenden Vorführung der Sicherheitsvorkehrungen gezielt ausgereizt.
Steter Quell der Freude
Und ist nicht nur während des gesamten Films ein steter Quell der Freude, sondern setzt eben gleich zu Anfang in der offensiven Zurschaustellung sexueller Identität auch Maßstäbe. Wenn die Enttabuisierung von Sexualität in ihren verschiedenen Formen eines der Anliegen dieses Films sein sollte, so ist das bisher kaum jemandem auf so unpeinlich komische Weise geglückt.
Da Sex im Grunde eher das Gegenteil von komisch ist, enden filmische Versuche, komische Sexszenen zu gestalten, in der Regel irgendwo im Zotigen. Almodóvar aber, selbst immerhin einer der großen Enttabuisierer des Kinos, geht über diese Ebene weit hinaus. In „Fliegende Liebende“ ist nicht das gebrochene Tabu, sondern die übersteigerte Lust an der Enttabuisierung selbst der eigentliche Quell der Komik.
Almodóvar darf das
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit
Lesen Sie hier einen Bericht über den Film “Love Is All You Need” - wunderbar beschwingte Sommer-Komödie von Susanne Bier
und hier eine Besprechung des Films "Spring Breakers" - trashige College-Komödien-Parodie mit James Franco von Harmony Korine
und hier eine Rezension des Films "Ein griechischer Sommer" - herzerwärmende Sommer-Komödie von Olivier Horlait
Eine Schlüsselszene ist in dieser Hinsicht jene, worin ein paar erboste Passagiere ins Cockpit eindringen und zu wissen verlangen, was mit dem Flugzeug los sei. Und unversehens sind alle, Passagiere, Stewards und Piloten, nicht nur angetrunken, sondern auch dabei, sich gegenseitig ihre sexuellen Präferenzen zu beichten, während es doch eigentlich gilt, eine Lösung für das Problem des nicht funktionierenden Fahrwerks zu finden.
Andeutungen auf die spanische Finanzkrise
Möglich, dass Pedro Almodóvar mit diesem Film gleichzeitig eine Allegorie auf die trudelnde Situation des ökonomisch schwer angeschlagenen Spanien hat abliefern wollen. Andeutungen auf die Finanzkrise spart er zumindest nicht aus. Doch bleibt das eher ein Nebenthema; und dass der sich ebenfalls im Flieger befindliche flüchtige Finanzhai am Schluss reuig in den Schoß der Familie zurückkehrt, um sich der Polizei zu stellen, gehört zu den verschiedenen kleinen Happyends, die genrekonform den Film beschließen. Sicher aber ist eines: in Zeiten der Krise braucht man Komödien wie diese.