Vergangenheit, die nicht vergehen will: Das ist in vielen außereuropäischen Ländern nicht Faschismus oder Stalinismus, sondern der Kolonialismus. Im Westen schon halb vergessen, prägt das Erbe der Kolonialzeit dort bis heute den Alltag. Teils positiv, aber vor allem negativ: durch starke Abhängigkeit von und Fixierung auf die frühere Kolonialmacht.
Info
Kader Attia:
Reparatur – 5 Akte
26.5.2013 – 25.8.2013
täglich außer dienstags 12 - 19 Uhr, donnerstags 12 - 21 Uhr
im KW Institute for Contemporary Art
Auguststr. 69, Berlin
Alles von Afrikanern gefertigt
All das hatten Afrikaner angefertigt. Entweder nach dem Ersten Weltkrieg (WWI), als Kriegs-Trümmer für zivile Zwecke recycelt wurden, oder als aktuelle Auftragsarbeit: Attia ließ Bildhauer im Senegal die Büsten nach historischen Fotos schnitzen. In beiden Fällen eigneten sich Afrikaner Überbleibsel von Europäern an – für den Künstler ein zentraler Vorgang.
Interview (auf Englisch) mit Kader Attia + Impressionen der Ausstellung; © Mythos Olympia
Pop kehrt aus USA nach Afrika zurück
Er betrachtet jede Wiederaneignung, jede Entwicklung überhaupt, als Prozess der Reparatur. Dieser Auffassung widmet er seine erste Einzelausstellung in Deutschland, eine Inszenierung in „fünf Akten“ für die KunstWerke (KW) in Berlin.
Der Auftakt ist freundlich-harmlos: Zu Afropop-Klängen werden Platten-Cover aus den 1960/70er an die Wand produziert. Dass Afrikas Popmusiker Rhythmen aus Amerika übernahmen, die verschleppte Sklaven dort weiterentwickelt hatten, weiß jeder Musikfreund. Daneben stehen mit Spiegelscherben beklebte, afrikanische Masken, damit „dem Besucher auf dem fremden Gesicht das eigene fragmentiert entgegenblickt“. Im engen Durchgang sieht man jedoch fast nichts.
Kriegsopfer neben Schmucknarben-Trägern
Überwältigend wirkt danach aber die Weiterentwicklung der documenta-Installation. Eine Diashow historischer WWI-Fotos stimmt auf das Thema ein. Dann steht man in einem Irrgarten aus Metall-Regalen, vollgestopft mit Fundstücken aller Art. Etwa dem eingeschlagenen Tonmodell eines „Banania“-Mohren, der in Frankreich seit 100 Jahren für ein Schoko-Getränkepulver wie „Nesquik“ wirbt – so naiv grinsend wie hierzulande der „Sarotti“-Mohr.
Antiquarische Bücher und Zeitschriften, von Attia mit Drahtklammern versiegelt, führen den rassistischen Geist der Epoche vor. Gleichmütig beäugt von enormen Kriegsopfer-Holzköpfen und Marmor-Büsten von Afrikanern mit Schmucknarben. Manche Parallelen zwischen entstellenden Kriegsverletzungen und als schön geltenden Deformationen sind verblüffend.
Tiere als Masken + Präparate
Hintergrund
Lesen Sie hier einen Bericht über einen "Rundgang durch das Fridericianum" auf der dOCUMENTA (13) mit Werken von Kader Attia in Kassel
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Minkisi – Skulpturen vom unteren Kongo" mit traditionellen, faszinierenden Nagel-Fetischen im Grassi Museum, Leipzig
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Afrika mit eigenen Augen" über Gegner der kolonialen Sicht auf Afrika im Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts, Baden-Baden.
Selbst in der Tierwelt wird Aneignung praktiziert. Der australische Prachtleierschwanz kann nicht nur den Gesang anderer Vögel imitieren, sondern auch von Menschen erzeugte Geräusche – etwa das Klicken von Fotokameras oder das Röhren einer Kettensäge. Seine Überlebens-Chancen steigert das nicht; der Lärm dieser Eindringlinge kann ihm langfristig den Garaus machen.
Globalisierung braucht solche Kunst
Anders als im Theater runden sich diese fünf Akte nicht zu einer geschlossenen Fabel. Und des Künstlers Beharren, alle Entwicklung sei irgendwie als Reparatur zu verstehen, darf man getrost bezweifeln. Das mindert weder den ästhetischen noch intellektuellen Reiz seiner Arbeit: Die fünf Stationen sind gesättigt mit Wirklichkeit.
Attia spürt jede Menge Belege für verborgene Verbindungen zwischen Erster und Dritter Welt auf, die weitgehend vergessen oder kaum bekannt sind. In der Globalisierung, die einander fremde Kulturkreise miteinander konfrontiert, kann es gar nicht genug solche Kunst geben.