
„Ich bin Arzt“ – das ist ein Satz, der Vertrauen und Hoffnung weckt. Immer wieder kommen Leute in die Schlagzeilen, die sich ohne entsprechende Ausbildung erfolgreich als Arzt ausgaben, Patienten behandelten und sogar operierten.
Info
Dr. Ketel – Der Schatten von Neukölln
Regie: Linus de Paoli,
80 Min., Deutschland 2011;
mit: Ketel Weber, Amanda Plummer, Franziska Rummel
Kein Geld für Medizin in Neukölln
Diese Zukunft inszeniert Regisseur Linus de Paoli als Hochschul-Abschlussfilm in Berlin-Neukölln, einer Großstadt für sich mit rund 300.000 Einwohnern. Dort hat dem Anschein nach kaum noch jemand genug Geld für medizinische Betreuung.
Offizieller Filmtrailer
Tagsüber Hausmeister, nachts Notarzt
Ketel behandelt Junkies, Obdachlose, Migrantenkinder, einsame Alte und bedröhnte Skater. Bis zur Erschöpfung hetzt er nachts mit seiner schwarzen Arzttasche von Einsatz zu Einsatz. Tagsüber verdingt er sich als Hausmeister, Medikamente stiehlt er aus Apotheken. Er hat eine Romanze mit der Apothekerin Karo (Franziska Rummel), die kurz ausfällt, aber später äußerst wichtig wird.
Als Drehbuch-Autoren erzählen Linus und Anna de Paoli eine klare, dichte Geschichte, die Elemente des Sozialdramas, Thrillers, Horror- bzw. Mystery-Films und des etwas anderen Kiez-Films ökonomisch und geschickt verbindet. Mit wenigen Handstrichen entwerfen sie eine Sozial-Dystopie, die jeder sofort versteht: Es wird alles noch schlimmer mit der Armut. Dabei werden kein Zentimeter Film und kein Cent des Budgets von 20.000 Euro vergeudet.
Immer noch nach Berlin-Tegel fliegen
Die schwarz-weiß gefilmten Seitenstraßen der Karl-Marx-Straße erinnern eher an das Neukölln der 1980er Jahre als an das sonnige Hipster-Paradies der Gegenwart. Wer aus diesem Film erfahren will, was Neuköllner Kreative in der nächsten Saison am Leib tragen, wird enttäuscht. Vermutlich sind sie in der in der Logik des Films nach Krakau umgezogen.
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit
Lesen Sie hier einen Bericht über den Essay-Film "Global Viral - Die Virus-Metapher" von Madeleine Dewald + Oliver Lammert über die Allgegenwart von Viren
und hier eine Besprechung des Films “Halt auf freier Strecke” von Andreas Dresen über den Todeskampf eines Krebs-Kranken
und hier einen Beitrag über den Katastrophen-Film “Contagion” von Steven Soderbergh über eine weltweite Killer-Epidemie.
Plummer bringt Film über Ziellinie
Dort landet, als die Handlung gerade ihre düsterste Wendung nimmt, die Security-Fachfrau Louise (Amanda Plummer). Sie schickt ihren auf sie wartenden Fahrer samt Limousine weg und nimmt sich eine Rikscha. Ihr Auftritt kommt genau zur richtigen Zeit.
Die US-Schauspielerin, die Extreme gewohnt ist („Butterfly Kiss“ „Pulp Fiction“), gibt dem Ensemble und der Story genau die Energie, die sie brauchen, um dieses kleine low budget-Meisterwerk über die Ziellinie zu bringen.
Prächtig feiern oder einsam sterben
Über den Fortgang der Geschichte sei nicht zuviel verraten. Das Ende kommt zwar nicht überraschend, wartet aber mit einer lange im Ärmel gehaltenen Moral auf, die sich vor allem – aber nicht nur – an junge Leute richtet. Also durchaus auch an Bewohner jener Straßen, in denen es sich gerade prächtig feiern lässt – oder auch einsam sterben.