Demographischer Wandel vor und auf der Leinwand: Das Kino-Publikum altert, und seine Film-Helden mit ihm. Romantische Irrungen und Wirrungen sind nicht mehr das Privileg blühender Jugend. Immer mehr Drehbücher widmen sich den Herzensregungen ergrauter Protagonisten, die eine späte oder letzte Liebe finden − oder verlieren.
Info
Mr. Morgan's Last Love
Regie: Sandra Nettelbeck,
116 Min., Deutschland/ Belgien 2013;
mit: Sir Michael Caine, Clémence Poésy, Justin Kirk
Reisen gegen erstarrte Rituale
Um Senioren erstarrte Rituale abzugewöhnen, werden sie gern auf physische oder mentale Reisen geschickt. In „Nachtzug nach Lissabon“ muss Jeremy Irons als Schweizer Lateinlehrer durch halb Europa fahren, um erneut Geschmack am Leben zu finden. Und Michael Caine als altem Amerikaner in „Mr. Morgan’s Last Love“ öffnet eine junge Pariserin wieder die Augen für die Reize der Stadt, in der er seit langem lebt.
Offizieller Filmtrailer
Tote Frau als Vision an der Seite
Die deutsche Regisseurin Sandra Nettelbeck hat Caine diese Rolle als lebensmüdem Mr. Morgan auf den Leib geschrieben. Als Vorlage diente ihr der Roman „Die letzte Liebe des Monsieur Armand“ von Francoise Dorner.
Seit dem Tod seiner Gattin vor drei Jahren hat der emeritierte Philosophie-Professor Matthew Morgan seine Lebensfreude verloren. Er lebt einsam in einer Stadt, die ihm fremd geblieben ist, und hängt Erinnerungen nach; als Vision ist seine verstorbene Frau (Jane Alexander) dabei stets an seiner Seite.
Seelenverwandtschaft mit Tanzlehrerin
Diese Konstellation erinnert stark an die von „Liebe“. Doch während Haneke Kitsch und Pathos durch formale Strenge vermeidet, inszeniert Nettelbeck einen rührseligen Film, der sich in Mitleid mit seinen Figuren ergeht.
Eines Tages stolpert der Amerikaner wortwörtlich über die junge, schöne Pauline (Clémence Poésy). Die freundliche Tanzlehrerin nimmt sich seiner an; zwischen beiden entsteht eine besondere Beziehung. Auch die kindlich-naive Pauline ist einsam und braucht einen Freund. Trotz mehr als 50 Jahren Altersunterschied spüren beide eine Art Seelenverwandtschaft.
Jeder findet seinen Platz
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit
Lesen Sie hier eine Lobeshymne auf den Film "Liebe" - letzte Phase einer Senioren-Ehe von Michael Haneke, Cannes-Sieger 2012
und hier eine Rezension des Films "Gloria" - Porträt einer 58-jährigen Chilenin mit Paulina García, Gewinnerin des Silbernen Bären 2013
und hier eine Kritik des Films "Nachtzug nach Lissabon" - Bestseller-Verfilmung von Bille August mit Jeremy Irons + Martina Gedeck
und hier einen Beitrag über den Film "Late Bloomers" - romantische Senioren-Komödie von Julie Gavras mit Isabella Rossellini + William Hurt.
Glänzten nicht Michael Caine und Clémence Poésy als Schauspieler, würde der Film komplett in Kitsch abrutschen. Vor allem die Ruhe und spitzbübische Tiefe von Michael Caine rettet den Film ein ums andere Mal vor zuviel Betulichkeit.
Handlungsstränge erdrosseln einander
Die Handlung kommt allzu berechenbar daher; die behauptete Poesie stellt sich trotz, oder gerade wegen der elegischen Klaviermusik von Hans Zimmer nicht recht ein, und die Motive der Figuren bleiben unklar. Warum will sich Mr. Morgan, gerade als er Pauline kennen gelernt hat, das Leben nehmen? Auch das Verhalten der jungen Frau bleibt ein Rätsel.
Der Film will einfach zuviel auf einmal: Drei parallel ablaufende Handlungsstränge nehmen sich gegenseitig die Luft zum Atmen. So weiß man einfach nicht, auf welche Geschichte man sich einlassen soll: Verlust, Trauerarbeit, Suizidgefahr, Vater-und-Sohn-Konflikt, Liebesgeschichte − alles wird angerissen und nicht fertig erzählt. Ein schwerfälliger und etwas bemühter Film über Isolation und die stete Chance auf einen Neuanfang.