Dieser Film ist eine kleine Revolution. Aus einem Land, in dem es keine Kinos gibt und Kunst nur zu Gottes Ehren vorgesehen ist, kommt ein Spielfilm, der mitten in der Hauptstadt Riad gedreht wurde. Inszeniert hat ihn zudem eine Frau: Haifaa Al Mansour ist Saudi-Arabiens einzige Regisseurin.
Info
Das Mädchen Wadjda
Regie: Haifaa Al Mansour
97 Min., Saudi-Arabien / Deuschland 2012
mit: Reem Abdullah, Waad Mohammed, Abdullrahman Al Gohani
800 Rial für ein Fahrrad
Die zwölfjährige Wadjda (Waad Mohammed) hat ihren eigenen Kopf. Sie trägt Turnschuhe, hört westliche Popmusik, ist nicht auf den Mund gefallen und hat einen sehnlichen Wunsch: ein grünes Fahrrad, das in einem Spielzeugladen um die Ecke für 800 Rial angeboten wird; umgerechnet rund 160 Euro.
Offizieller Film-Trailer
Im Familien-Stammbaum stehen nur Männer
Neben dem unerschwinglichen Preis gibt es für das junge Mädchen allerdings ein weiteres, viel größeres Problem: Wadjda lebt in einem Land, das Frauen und Mädchen nicht nur das Radfahren, sondern Selbstständigkeit, Mobilität und Selbstbestimmung allgemein verbietet.
Wadjda lebt mit ihrer Mutter und ihrem manchmal anwesenden Vater in Riad und rebelliert gegen die Regeln. Sie möchte laut lachen, ihren Freund Abdullah in einem Radrennen besiegen, und trägt sich trotzig in den rein männlichen Stammbaum der Familie ein.
Job nur bei Geschlechter-Trennung
Ihre Mutter (Reem Abdullah) sorgt sich um den guten Ruf der Familie und versucht, der Tochter die Flausen auszutreiben. Dabei ist sie eine durchaus moderne, sogar berufstätige Frau. Doch auch ihr Alltag ist von Abhängigkeiten bestimmt.
Da Frauen nicht Autofahren dürfen, ist sie auf einen launischen Fahrer angewiesen, der sie täglich drei Stunden zu ihrem Arbeitsplatz fährt. In der Nähe gibt es keinen Betrieb, der die räumliche Trennung von männlichen und weiblichen Kollegen am Arbeitsplatz garantiert. Doch das ist nötig; nur unter dieser Bedingung erlaubt ihr Mann ihr, einen Beruf auszuüben.
Koran-Vortrag finanziert Fahrrad
Mutter und Tochter sind in einem unsichtbaren Gefängnis eingeschlossen, doch das Mädchen möchte dessen Enge nicht hinnehmen. Wadjda kämpft also weiter und nimmt ausgerechnet an einem Koran-Wettbewerb in ihrer Schule teil, um ihrem Traum näher zu kommen: Das Preisgeld würde nämlich locker für das grüne Fahrrad reichen.
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit
Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Fill the Void - An ihrer Stelle" - über die Rolle der Frau bei israelischen orthodoxen Juden von Rama Burshtein
und hier einen Bericht über den Film "Kuma" - über die Zweitfrauen-Problematik in Anatolien von Umut Dağ
und hier eine Rezension des Films "Wer weiß, wohin?" - über Frauen-Power im Libanon von Nadine Labaki
Sinnbild von Mobilität + Freiheit
Die Spannung zwischen Tradition und Moderne ist dabei ständig zu spüren. Der Film zeigt die saudische Gesellschaft in all ihren Facetten, ohne zu werten; genau darin liegt seine Stärke.
Durch die Wahl einer unschuldigen Protagonistin, die sich ein Spielzeug wünscht, dass sinnbildlich für Freiheit und Mobilität steht, dürfte die Regisseurin wohl auch das Publikum erreichen, für das der Film am wichtigsten ist: die Menschen in ihrer Heimat.
Ganz neu: Frauen-Radeln erlaubt
In der stringenten und konzentrierten Regie von Al Mansour spielt Hauptdarstellerin Waad Mohammed erfrischend spitzbübisch; unaufdringlich untermalt von Max Richters Filmmusik, die die reiche und ehrwürdige Tradition arabischer Musik würdigt.
Übrigens ist in Saudi-Arabien seit neuestem Frauen das Radfahren erlaubt: vorerst zwar nur in Begleitung eines männlichen Verwandten, aber immerhin. Die Wadjdas dieses Landes lassen sich nicht mehr aufhalten.