Berlin

Doku.Arts 2013

Szenenbild aus "Revelando Sebastião Salgado"; Regisseurin Betse de Paula, GB 2008. Foto: (c) Aurora Cinematografica / Quelle: DOKU.ARTS
Warum selbst Filme drehen, anstatt sich bei anderen zu bedienen? Viele Regisseur stellen neue Filme aus Archivmaterial zusammen. Beispiele über Kunst und Künstler zeigt das Doku.Arts-Festival, das am Mittwoch beginnt: von Kubrick bis zu Tadao Ando.

Die Künste sind längst im postmodernen Zeitalter des samplings angekommen: Wozu Neues schaffen, wenn so viel vorhanden ist, das sich rekombinieren lässt? Das gilt auch für Dokumentarfilmer: Sie schöpfen aus überquellenden Archiven und kreieren daraus neue Filme. Ob sie fade Kompilationen oder etwas Originelles werden, entscheidet allein ihre Kreativität.

 

Info

Doku.Arts 2013

 

11.9.2013 – 29.9.2013

täglich wechselndes Programm ab 17 Uhr

im Zeughauskino, Deutsches Historisches Museum,
Unter den Linden 2, Berlin

 

Weitere Informationen

 

Solche second hand movies stehen im Mittelpunkt der diesjährigen Doku.Arts. Mit seiner siebten Ausgabe kehrt das Festival für Dokumentarfilme über Kunst an seinen Gründungsort Berlin zurück, nachdem es 2008 bis 2010 in Amsterdam und 2012 in Rio de Janeiro stattfand.

 

Auftakt mit Verschwörungstheorien

 

Filme, die altes Material zweitverwerten, sind häufig Filme über das Filmemachen. Etwa der Eröffnungsfilm „Room 237“ von Rodney Ascher, der in einer Woche regulär in deutsche Kinos kommt. Ascher geht den Verschwörungstheorien nach, die sich um einzelne Szenen von Stanley Kubricks Horrorfilm-Klassiker „Shining“ ranken: ein Streifzug durch die seltsame Welt paranoider Filmfreaks.


Offizieller Trailer des Films "Room 237" von Rodney Ascher


 

Eine making of der etwas anderen Art erzählt Francesco Patierno in „La guerra dei vulcani“. Als Roberto Rossellini 1949 den Film „Stromboli“ auf der gleichnamigen Insel drehte, besetzte er die Hauptrolle mit Ingrid Bergman – obwohl er mit Italiens Star-Schauspielerin Anna Magnani liiert war. Die begann aus Eifersucht mit eigenen Dreharbeiten auf der Nachbarinsel; wohl der einzige Rosenkrieg, der mit Filmkameras ausgefochten worden ist.

 

Aus historischen Aufnahmen lassen sich gut Porträts von Städten und Landschaften zusammenstellen. Wie in „La mémoire des anges“ von Luc Bourdon, der das Quebec der 1950/60er Jahre wieder auferstehen lässt, oder „Of Time and the City“ von Terence Davies.


Offizieller Trailer des Films "Of Time and the City" von Terence Davies


 

Davies beschwört das Liverpool seiner Kindheit herauf. Er wurde in den 1980er Jahren für einfühlsame Rückblicke auf Englands jüngere Vergangenheit gerühmt; sein letzter Spielfilm „The Deep Blue Sea“ erstickte allerdings an nostalgieseligem Dekor.

 

Dagegen erschließt Ben van Lieshout in „Inventary of the Motherland“ einen Bilderschatz: die ersten russischen Farbfotografien. Von 1909 bis 1915 reiste Sergej Prokudin-Gorski im Auftrag des Zaren durch Russland und dokumentierte überall Motive monochrom in drei Primärfarben, die er auf eine Glasplatte projizierte. Sein komplettes Archiv bewahrt die Library of Congress auf.


Trailer des Films "Inventory of the Motherland" von Ben van Lieshout


 

Van Lieshout folgt den Spuren des russischen Fotopioniers und filmt Szenen, Gebäude und Anlagen, die er einst ablichtete. Trotz meditativer Ruhe enthüllt das Resultat eine erstaunliche Überraschung: Vielerorts sieht es ein Jahrhundert später kaum anders aus als in der Endphase des Zarenreichs.

 

Berühmte Fotografen eignen sich ohnehin als Thema von Dokus: Das Bildmaterial liegt schon vor und muss nur noch in Bewegung gebracht werden. Wie in „Lucien Hervé, photographe malgré lui“ von Gerrit Messiaen oder „Revelando Sebastião Salgado“ von Betse de Paula: Die Brasilianerin lässt beschwingt Salgados Gesamtwerk Revue passieren, der mit eindringlichen Schwarzweiß-Aufnahmen hart arbeitender Menschen weltberühmt wurde. Er selbst steuert aufschlussreiche Anekdoten und Reflexionen bei.


Trailer des Films "Revelando Sebastiao Salgado" von Betse de Paula


 

Ein solcher Film-Aufbau ist aber nicht immer erhellend. In „Tadao Ando: Von der Leere zur Unendlichkeit“ herrscht vor allem erstere vor. Regisseur Mathias Fricke lässt den japanischen Star-Architekten in seinem Büro vor sich hinplaudern und illustriert das mit statischen Einstellungen.

 

Die schwelgen zwar im Licht- und Schattenspiel von Sichtbeton-Mauern, Andos Markenzeichen, aber über Gestaltungsprinzipien oder Raumorganisation erfährt man wenig. Wer sein Gesamtwerk nicht schon kennt, ist hernach kaum schlauer als zuvor.

 

Geschichte aus Orangen-Sicht

 

Völlig neue Seiten einer alten Bekannten offenbart dagegen Eyal Sivans Film „Jaffa − The Orange’s Clockwork“, der 2010 in deutschen Kinos lief. Heute verdient Israel mehr an Software, aber bis in die 1990er Jahre waren „Jaffa“-Orangen und -Grapefruits Exportschlager. Sivan stellt alte Werbe- und Image-Filme zusammen und erzählt die Geschichte seines Landes und des Nahost-Konflikts aus der Perspektive von Zitrusfrüchten.


Trailer des Films "Jaffa - The Orange's Clockwork" von Eyal Sivan


 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Festivals "Kino der Kunst" im April 2013 mit Filmen bildender Künstler in München

 

und hier eine Besprechung des Films "The Deep Blue Sea"- Nachkriegs-Drama um Dreiecksverhältnis von Terence Davies.

„Pokasatelnij protsess: Istorija Pussy Riot“ („Pussy Riot − A Punk Prayer“) zeigt, wie rücksichtslos die russische Staatsmacht gegen die „Pussy Riot“-Aktivistinnen vorgeht: Für ihre Protestaktion in der Kathedrale von Moskau wurden sie zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

 

Mike Lerner und Maxim Posdorowkin dokumentieren das dubiose Verfahren in engem Kontakt zu den Angeklagten und ihren Angehörigen. Nach solchem Muster sind schon viele Polit-Prozesse in Russland abgelaufen, doch diese Bilder sind neu und hochaktuell.