
Ihre Schwester bringt es auf den Punkt: „Ich mach‘ ja auch manchen Scheiß, aber mit `ner Bombe rumfahren?“ Was also trieb die süddeutsche Bürgertochter Magdalena Kopp in die Arme von Carlos, dem meistgesuchten Terroristen der 1970/80er Jahre? Regisseur Nadav Schirman sucht die Antwort zwischen Damaskus, Neu-Ulm, Venezuela und Frankreich – ohne sie zu finden.
Info
In the Darkroom
Regie: Nadav Schirman
90 Min., Deutschland / Israel 2012
mit: Magdalena Kopp, Rosa Kopp, Lothar Dahlke
Terroristen-Groupie mit Tochter
In so einer Dunkelkammer hat der Venezolaner Ilich Rámirez Sanchéz, bald berüchtigt unter dem Decknamen „Carlos“, die Fotografin Magdalena Kopp erstmals amourös angemacht. Sie war zunächst nicht begeistert. Trotzdem wurde sie in den Folgejahren als Carlos‘ Partnerin und Mutter seiner Tochter Rosa laut Boulevard-Presse zum „Terroristen-Groupie“.
Offizieller Filmtrailer
Scheinbar widerwillig reingeschlittert
Nun steht ihr Werdegang im Mittelpunkt eines Dokumentarfilms. Darin zeigt das Darkroom-Motiv seinen erhellenden Sinn: An alten Fotos hangeln sich Interviews mit ihr, Ex-Weggefährten und Carlos-Kennern entlang. Unscharfe Schnappschüsse vom „Phantom“ Carlos, aber auch gestochen scharfe Abzüge aus Privatbesitz: Momentaufnahmen eines Lebens, das sich die Hauptfigur selbst nicht mehr richtig erklären kann.
Seine seltsame Heldin ist zugleich Fluch und Segen des Films: als junge Frau aus der Provinz, hin- und hergerissen zwischen antibürgerlichem Aufbruchswillen und kleinbürgerlicher Schicksalsergebenheit, ist sie scheinbar widerwillig in alles reingeschlittert.
Untergrund als Weg des geringsten Widerstands
Von einer Beziehung im Frankfurter Sponti-Millieu, in der sie ihre erste Tochter bekam, über eine Affäre mit dem gut aussehenden Polit-Aktivisten Johannes Weinrich, der sie rasch in Revolutionären Zellen und bis in die Arme von Carlos führte; dann nahm sie der Venezolaner wie selbstverständlich in Besitz.
Der Weg in den Widerstand als Weg des geringsten Widerstandes? Als sie nach vierjähriger Haft in den Schoß ihrer Familie zurückgekehrt ist, genügt ein Anruf von Carlos – „How are you?“ –, um sie zurück in den Untergrund zu treiben. Aus Todesangst, wie sie und ihre Tochter behaupten, oder doch eher der Sehnsucht nach einem ganz anderen Leben?
Abrechnung mit linksradikalem Antisemitismus
Antworten auf diese Fragen bleiben in der Dunkelkammer verborgen; auch aus historischen Abstand entsteht kein klares Bild. Magdalena Kopp schluckt angestrengt, sie weint, aber sie schweigt. Die Leerstelle bleibt der rätselhafte Super-Terrorist, dessen bewegtem Leben der französische Regisseur Olivier Assayas vor drei Jahren ein überlebensgroßes Filmdenkmal setzte: „Carlos –Der Schakal“.
Zu diesem fünfstündigen Film-Epos bietet Schirmans Doku immerhin eine Art Sekundärlektüre. Sie klärt beispielsweise die Frage, woher die deutschen Genossen eigentlich kamen, die bei Assayas scheinbar aus dem Nichts auftauchen. Zudem rechnet der Film nebenbei mit dem bis heute umstrittenen Antisemitismus in der radikalen Linken ab.
Angenehm altmodisches Tempo
Durch seine karge Inszenierung vor allem aus Interviews, Fotos und Nachrichten-Bildern schlägt der Film ein angenehm altmodisches Tempo an. Als er im Sumpf öffentlich-rechtlicher Konfektionsware stecken zu bleiben droht, bringt der Auftritt der heute erwachsenen Tochter Rosa frischen Wind hinein.
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit
Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Die wilde Zeit – Après mai" - über die Ära der K-Gruppen der 1970er Jahre in Frankreich von Olivier Assayas
und hier einen kultiversum-Beitrag “Carlos – Der Schakal “ von Olivier Assayas über den Top-Terroristen Ilich Ramírez Sánchez, genannt Carlos
und hier eine Rezension des Films “Das Wochenende” – subtiles Kammerspiel über ein Ex-RAF-Mitglied von Nina Grosse mit Sebastian Koch.
Schlimmste Befürchtung + Überraschung
Schließlich wird Rosa Kopp mit ihrem Vater konfrontiert, der seit 1994 in einem französischen Gefängnis lebenslänglich einsitzt. Die Kamera bleibt dabei draußen, doch offensichtlich ist: Ihre schlimmste Befürchtung wird wahr, dafür erlebt sie auch eine Überraschung. Ob sie sich darüber freuen kann, weiß sie nicht.
Der Film zerfällt in ein symmetrisches Doppelporträt mit dem abwesenden, aber übermächtigen Vater als Achse: Hier die Mutter, die sich unter der Last der Vergangenheit windet und bekundet, ihre Würde sei dahin. Dort die vitale und neugierige Tochter, die sich auf ihre Herkunft keinen Reim machen kann.
Ratlosigkeit + Ambivalenz
Ratlosigkeit und Ambivalenz prägen die Atmosphäre des Films; das verwundert bei diesem Thema kaum. Doch die Frage drängt sich auf, ob es im Grunde nicht zu dünn ist, um auf diese Weise entwickelt zu werden.