Einen so urdeutschen Stoff wie den „Michael Kohlhaas“ für das internationale Kino einrichten sollte nur ein Nicht-Deutscher, der den Blick von außen und somit auf das Wesentliche mitbringt. Der Franzose Arnaud des Pallières hat die Novelle von Heinrich von Kleist sehr genau gelesen.
Info
Michael Kohlhaas
Regie: Arnaud des Pallières
122 Min., Frankreich / Deutschland 2013
mit: Mads Mikkelsen, Delphine Chuillot, David Bennent, Bruno Ganz
Biblische Figuren in den Cevennen
In ihr nehmen sich die handelnden Personen geradezu wie biblische Figuren aus – wie die ersten oder letzten Menschen. Auch das ist eine Art Absolutheitsanspruch, der auf visueller Ebene jenem der Hauptfigur entspricht; das spiegelt sich in der Kameraführung von Jeanne Lapoirie kongenial.
Offizieller Filmtrailer
Prächtige Rappen zu Schindmähren
Der Pferdehändler Kohlhaas (Mads Mikkelsen) ist mit seinen Tieren unterwegs zum Markt. Im Wald wird er von einem Schlagbaum aufgehalten, den die Bediensteten eines Herzogs errichtet haben. Sie fordern von Kohlhaas einen Passierschein; da er diesen nicht hat, nehmen sie zwei seiner Pferde als Pfand.
Kohlhaas lässt zwei prächtige Rappen und einen Knecht (David Bennent) vor Ort, der auf die Tiere aufpassen soll. Bei seiner Rückkehr findet er die Pferde geschunden und von harter Feldarbeit abgemagert vor. Der Knecht ist verschwunden – vertrieben worden, wie sich später herausstellt, nachdem die Leute des Herzogs Hunde auf ihn gehetzt hatten.
Furchtbarer Preis für Gerechtigkeit
Kohlhaas findet außerdem heraus, dass der Herzog kein Recht hat, Passierscheine zu verlangen. Er setzt alles daran, sein Recht zu bekommen, scheitert jedoch auf amtlichem Wege. Als auch noch seine Frau (Delphine Chuillot) stirbt, nachdem sie versucht hat, bei Hofe eine Bittschrift zu überbringen, wird Kohlhaas vom Bürger zum Rebellen.
Mit seinen Getreuen meuchelt er die Bewohner auf des Herzogs Burg, belagert ein Nonnenkloster, in das der Adlige geflohen ist, und kämpft gegen Truppen, die ihn und seine Männer von ihrem Zerstörungswerk abhalten sollen. Am Schluss wird die Gerechtigkeit wiederhergestellt sein, aber um einen furchtbaren Preis.
Fantastisch selbstgenügsame Landschaft
Das Einzige, was an dieser packenden und stringenten Kleist-Verfilmung zunächst ein wenig verstört, ist ihre oft geradezu überwältigende Schönheit. Die Landschaft wirkt in ihrer rauen Selbstgenügsamkeit absolut fantastisch.
Die allesamt großartigen Darsteller wurden sorgfältig nach Merkmalen individueller Attraktivität ausgewählt, die etwas abseits von gängigen Schönheitsidealen liegen. Die Kostüme sind von ausgesuchtem Geschmack und aus edlen Materialien. Und erst die Pferde…
Preziöses wird in Film transformiert
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit
Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Kohlhaas oder die Verhältnismässigkeit der Mittel" von Aron Lehmann über die Verfilmung der Kleist-Novelle
und hier einen Bericht über den Film "Die Königin und der Leibarzt" - packendes Historien-Drama in Dänemark mit Mads Mikkelsen
und hier eine Rezension des Films "Die Jagd" - Psycho-Drama um Pädophilie von Thomas Vinterberg mit Mads Mikkelsen
Ihm ist ein ganz besonderer Transfer geglückt: der Transfer der Schönheit der Sprache von Kleist in ein anderes Medium, in die Bildersprache des Films. Das Preziöse, das Kleists Prosa eigen ist, geht nicht verloren; es ist lediglich transformiert worden.
Aus Kohlhaas‘ Frau wird Tochter
Eine bemerkenswerte inhaltliche Änderung – die einzige gegenüber der Vorlage – nimmt Regisseur des Palières auch vor: Lisbeth, bei Kleist die Ehefrau des Kohlhaas, wird hier zu seiner Tochter. Mit ihr führt der Film eine Figur der kommenden Generation ein, für deren Zukunft Kohlhaas mit seinen Taten letztlich Verantwortung trägt.
So ist diese Literaturverfilmung trotz ihres historischen Schauplatzes nicht zuletzt auch ein Kommentar zur sehr aktuellen Parole des „Empört euch!“, der gleichnamigen Streitschrift von Stéphane Hessel. Und Mads Mikkelsen war übrigens nie schöner als hier mit Bart.