Rockkonzerte im Sitzen? Versucht man eigentlich zu vermeiden! Im Rhythmus mitklatschen? Überlässt man eher den älteren Semestern im Volksmusikzelt! Als der Rock ’n‘ Roll noch in den Kinderschuhen steckte und seine Protagonisten noch in der Schulaula statt im Stadion auftraten, waren die Konsumenten stilistisch noch nicht so versiert.
Info
Not Fade Away
Regie: David Chase
112 Min., USA 2012
mit: James Gandolfini, John Magaro, Jack Huston
Trommeln für die Mädchen
Der 16-jährige Douglas Damiano (John Magaro) sitzt im Zuschauerraum der Aula seiner High School. Beim Talentwettbewerb tritt sein Freund Gene (Jack Huston) mit seiner Rockband auf. Wer einem Instrument ein paar Töne entlocken kann, hat auch den besseren Stand bei den Mädchen, denkt sich Douglas; bald darauf trommelt er in der Garage auf seinem Schlagzeug rum.
Offizieller Filmtrailer
Über Kennedy und Ginsberg reden
Seine Familie aus dem Arbeitermilieu plagen derweil andere Sorgen. Vater Pat („Sopranos“-Pate James Gandolfini in einer seiner letzten Rollen) kratzt an seinem Hautkrebs, Mutter Antoinette (Molly Price) denkt über Selbstmord nach, während Schwester Evelyn (Meg Guzulescu) hauptsächlich als Off-Erzählerin des Films fungiert.
Die Familie von Douglas‘ Schwarm Grace (Bella Heathcote) ist sozial besser gestellt. Dort sitzt man nicht in Unterwäsche am Frühstückstisch, sondern debattiert hübsch frisiert und adrett gekleidet das Attentat auf John F. Kennedy und Gedichte von Allen Ginsberg. Der Beat bestimmt aber auch hier das Lebensgefühl der Teenager in Abgrenzung zu den Eltern, ob in Literatur oder Musik.
Hüftsteifheit im Partykeller
Das klassische Filmthema coming of age bedeutet in den frühen sixties, die noch mehr mit den reaktionären fifties als mit dem Aufbruch des summer of love zu tun haben: auf Partys rumstehen, zum Takt der „Beatles“ und „Marvelettes“ versuchen, Hüftsteifheit zu überwinden, und darüber nachgrübeln, wie man den lifestyle der Jungs aus Liverpool und der Mädels aus Michigan in einem tristen Partykeller in New Jersey nachahmen könnte. Das eigentliche Versprechen dieser Jahre gibt jedenfalls Mick Jagger von den Rolling Stones vor: „I wanna make love to you.“
Regisseur David Chase wuchs, lange bevor er mit der TV-Serie „Die Sopranos“ berühmt wurde, in Clifton, New Jersey auf. Er arbeitete einige Jahre als professioneller Schlagzeuger und ließ eigene Erfahrungen einer von Depressionen geprägten Adoleszenz in sein Spielfilmdebüt „Not Fade Away“ einfließen.
Eifersüchtiger Wunsch nach sex, drugs and rock ’n‘ roll
Nostalgisch, aber authentisch beschreibt er Jugend in den USA der 1960er Jahre als eine Zeit zwischen konservativer Nachkriegs-Paranoia und dem Wunsch nach sex, drugs and rock ’n‘ roll. Er beschreibt diesen Wunsch als eifersüchtiges Verlangen, ohne zu wissen, wie es befriedigt werden könnte. Sein Film ist zwar ästhetisch retro, aber nicht rückwärtsgewandt.
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit
Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "The Sapphires" - eine klassische Band-Story in den 1960er Jahre in Australien von Wayne Blair
und hier einen Bericht über die Doku "Blank City" - über die New Yorker “No Wave” Film- + Musik-Szene der späten 1970er Jahre von Céline Danhier
und hier einen Bericht über den Film “Die wilde Zeit - Après Mai” – über die französische Jugend in den frühen 1970er Jahren von Olivier Assayas.
Bis zur neuen Zeit der Sex Pistols
Mit dem Gitarristen Wells formieren die drei eine Rockgruppe nach englischem Vorbild und haben bald einige Auftritte. Dann darf sich Douglas auch als Sänger versuchen und gewinnt das Herz von Grace. Eine Liebe, die nicht vor Rückschlägen gefeit ist.
Die Jahre verfliegen, bis mit den „Sex Pistols“ eine neue Zeit anbricht. Der Film verwebt zeitgeschichtliche Fixpunkte, soziale Revolutionen und individuelle Schicksalsschläge geschickt mit dem Auf und Ab in einer Rockband, die vom Gerangel der Charaktere bestimmt ist: von Konkurrenz und Hierarchie, Rausch, sexueller Frustration und Hingabe.
Rockband als Sinnbild
Regisseur Chase erweist einer sozialen Mikrogruppe die Ehre: Das Konstrukt der Band dient ihm als Sinnbild für die Veränderungen der Gesellschaft, für Streben und Scheitern der Menschen auf der Suche nach persönlichem Glück und einem übergeordneten Sinn. Diese Sehnsucht ist vor allem im Freiheitsanspruch, den die „Stones“, „Moody Blues“ oder „Small Faces“ auf dem Soundtrack verbreiten, heute noch spürbar.