David Chase

Not Fade Away

Die Band probt zuhause für einen Auftritt. Foto: Paramount Pictures Germany
(Kinostart: 26.9.) Die Provinz-Rockband als Sinnbild der Gesellschaft: Regisseur David Chase verfolgt einfühlsam das Auf und Ab der Teenie-Gruppe dreier Musiker in den 1960er Jahren, deren Verlangen nach großem Aufbruch ohnmächtig bleibt.

Rockkonzerte im Sitzen? Versucht man eigentlich zu vermeiden! Im Rhythmus mitklatschen? Überlässt man eher den älteren Semestern im Volksmusikzelt! Als der Rock ’n‘ Roll noch in den Kinderschuhen steckte und seine Protagonisten noch in der Schulaula statt im Stadion auftraten, waren die Konsumenten stilistisch noch nicht so versiert.

 

Info

 

Not Fade Away

 

Regie: David Chase

112 Min., USA 2012

mit: James Gandolfini, John Magaro, Jack Huston

 

Website zum Film

 

Mit leiser Ironie und melancholischer Sympathie führt „Not Fade Away“ zurück in die Anfangsjahre einer musikalischen Popkultur, die unsere Gesellschaft – zuerst die US-amerikanische, dann die europäische, dann den Rest der Welt – nachhaltig prägen sollte.

 

Trommeln für die Mädchen

 

Der 16-jährige Douglas Damiano (John Magaro) sitzt im Zuschauerraum der Aula seiner High School. Beim Talentwettbewerb tritt sein Freund Gene (Jack Huston) mit seiner Rockband auf. Wer einem Instrument ein paar Töne entlocken kann, hat auch den besseren Stand bei den Mädchen, denkt sich Douglas; bald darauf trommelt er in der Garage auf seinem Schlagzeug rum.


Offizieller Filmtrailer


 

Über Kennedy und Ginsberg reden

 

Seine Familie aus dem Arbeitermilieu plagen derweil andere Sorgen. Vater Pat („Sopranos“-Pate James Gandolfini in einer seiner letzten Rollen) kratzt an seinem Hautkrebs, Mutter Antoinette (Molly Price) denkt über Selbstmord nach, während Schwester Evelyn (Meg Guzulescu) hauptsächlich als Off-Erzählerin des Films fungiert.

 

Die Familie von Douglas‘ Schwarm Grace (Bella Heathcote) ist sozial besser gestellt. Dort sitzt man nicht in Unterwäsche am Frühstückstisch, sondern debattiert hübsch frisiert und adrett gekleidet das Attentat auf John F. Kennedy und Gedichte von Allen Ginsberg. Der Beat bestimmt aber auch hier das Lebensgefühl der Teenager in Abgrenzung zu den Eltern, ob in Literatur oder Musik.

 

Hüftsteifheit im Partykeller

 

Das klassische Filmthema coming of age bedeutet in den frühen sixties, die noch mehr mit den reaktionären fifties als mit dem Aufbruch des summer of love zu tun haben: auf Partys rumstehen, zum Takt der „Beatles“ und „Marvelettes“ versuchen, Hüftsteifheit zu überwinden, und darüber nachgrübeln, wie man den lifestyle der Jungs aus Liverpool und der Mädels aus Michigan in einem tristen Partykeller in New Jersey nachahmen könnte. Das eigentliche Versprechen dieser Jahre gibt jedenfalls Mick Jagger von den Rolling Stones vor: „I wanna make love to you.“

 

Regisseur David Chase wuchs, lange bevor er mit der TV-Serie „Die Sopranos“ berühmt wurde, in Clifton, New Jersey auf. Er arbeitete einige Jahre als professioneller Schlagzeuger und ließ eigene Erfahrungen einer von Depressionen geprägten Adoleszenz in sein Spielfilmdebüt „Not Fade Away“ einfließen.

 

Eifersüchtiger Wunsch nach sex, drugs and rock ’n‘ roll

 

Nostalgisch, aber authentisch beschreibt er Jugend in den USA der 1960er Jahre als eine Zeit zwischen konservativer Nachkriegs-Paranoia und dem Wunsch nach sex, drugs and rock ’n‘ roll. Er beschreibt diesen Wunsch als eifersüchtiges Verlangen, ohne zu wissen, wie es befriedigt werden könnte. Sein Film ist zwar ästhetisch retro, aber nicht rückwärtsgewandt.

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "The Sapphires" - eine klassische Band-Story in den 1960er Jahre in Australien von Wayne Blair

 

und hier einen Bericht über die Doku "Blank City" über die New Yorker “No Wave” Film- + Musik-Szene der späten 1970er Jahre von Céline Danhier

 

und hier einen Bericht über den Film “Die wilde Zeit - Après Mai” – über die französische Jugend in den frühen 1970er Jahren von Olivier Assayas.

 

So wuchs man eben heran: Als der eigentliche Drummer zum Militär muss, bekommt Douglas endlich die Chance, neuer Schlagzeuger in Genes Band zu werden und sie mit seiner Kenntnis der Rhythmik von Bo Diddley zu bereichern.

 

Bis zur neuen Zeit der Sex Pistols

 

Mit dem Gitarristen Wells formieren die drei eine Rockgruppe nach englischem Vorbild und haben bald einige Auftritte. Dann darf sich Douglas auch als Sänger versuchen und gewinnt das Herz von Grace. Eine Liebe, die nicht vor Rückschlägen gefeit ist.

 

Die Jahre verfliegen, bis mit den „Sex Pistols“ eine neue Zeit anbricht. Der Film verwebt zeitgeschichtliche Fixpunkte, soziale Revolutionen und individuelle Schicksalsschläge geschickt mit dem Auf und Ab in einer Rockband, die vom Gerangel der Charaktere bestimmt ist: von Konkurrenz und Hierarchie, Rausch, sexueller Frustration und Hingabe.

 

Rockband als Sinnbild

 

Regisseur Chase erweist einer sozialen Mikrogruppe die Ehre: Das Konstrukt der Band dient ihm als Sinnbild für die Veränderungen der Gesellschaft, für Streben und Scheitern der Menschen auf der Suche nach persönlichem Glück und einem übergeordneten Sinn. Diese Sehnsucht ist vor allem im Freiheitsanspruch, den die „Stones“, „Moody Blues“ oder „Small Faces“ auf dem Soundtrack verbreiten, heute noch spürbar.