Ari Folman

The Congress

Robin Wright in 20 Jahren auf dem Gala-Diner des futurologischen Kongresses. Foto: Pandora Film
(Kinostart: 12.9.) Mit "Waltz with Bashir" erfand Regisseur Folman den politischen Doku-Trickfilm. Nun verfilmt er einen Science-Fiction-Klassiker: als bonbonbunte Warnung vor Drogen-Missbrauch mit dem geistigen Gehalt einer Steinzeit-Saga.

Science fiction-Filme haben es heutzutage schwer: falls sie sich nicht mit Tricktechnik-Geballer begnügen, sondern über die conditio humana nachdenken, indem sie künftige Welten entwerfen. Seitdem die tägliche Email-Flut jeden überfordert, begeistern sich nur noch nerds für high tech gadgets von morgen. Technischer Fortschritt lässt das Genre rasch alt aussehen.

 

Info

 

The Congress

 

Regie: Ari Folman, 122 Min.,

Israel/ Deutschland 2013

mit: Robin Wright, Harvey Keitel, Jon Hamm

 

Website zum Film

 

Das erfuhr der israelische Regisseur Ari Folman, als er in Hollywood einen Drehort für die zentrale Szene von „The Congress“ suchte: einen Raum, in dem Hauptdarstellerin Robin Wright gescannt wird. Solche Ganzkörper-Scanner gibt es seit Jahren, lernte er; die Wirklichkeit hat seine Vorstellung längst eingeholt.

 

Animierte Kriegs-Erinnerungen

 

Dabei war der Regisseur durchaus ein Visionär: Er hat im Alleingang den zeithistorischen Dokumentar-Trickfilm erfunden. In „Waltz with Bashir“ bebilderte er seine Erinnerungen als israelischer Soldat im Libanon-Krieg 1982 mit Animations-Sequenzen; der Film wurde 2008 ein weltweiter Erfolg.


Offizieller Filmtrailer


 

Medienkonzern- statt KP-Diktatur

 

Mit „The Congress“ verfilmt Folman den science fiction-Klassiker „Der futurologische Kongress“ (1972) von Stanislam Lem. Der 2006 gestorbene polnische Literat war in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einer der produktivsten und angesehensten Autoren dieser Sparte; in Deutschland verlegt Suhrkamp seine Werke.

 

Die kommunistische Diktatur, auf die Lems Roman anspielt, verlegt Folman in die Unterhaltungs-Industrie: Riesige Medien-Konzerne beherrschen die Welt. Die Miramount-Studios machen Star-Schauspielerin Robin Wright, die sich selbst spielt, ein Angebot, das sie nicht ablehnen kann.

 

Steve Jobs redet wie Joseph Goebbels

 

Für viel Geld soll sie sich komplett einscannen lassen. Mit diesen Daten kann Miramount 20 Jahre lang jede beliebige Hauptfigur eines blockbusters simulieren; derweil darf Wright nie wieder öffentlich auftreten. Sie nimmt an, weil sie die Summe für die Behandlung ihres kranken Sohns braucht.

 

Zwei Jahrzehnte später reist die animierte Robin zum Kongress. Hier nehmen alle Psychopharmaka, die ihnen eine bonbonbunte Traumwelt vorgaukeln. Eine Steve-Jobs-Karikatur verheißt im Stil von Goebbels‘ Sportpalast-Rede noch schärfere Trips: Das neue Präparat erlaube jedem user, im eigenen Kopf seinen ganz persönlichen Film zu fahren.

 

Technicolor-Nirvana oder Tristesse

 

Zum Untergang der Kinobranche kommt es nicht: Rebellen schlagen alles kurz und klein. Nun geht es drunter und drüber: Robin landet in ferner Zukunft und den Armen des Mannes (John Hamm), der ihre Simulationsfilme produzierte. Er schluckt Superdrogen, die ihm die Illusion jeder gewünschten Existenz verschaffen. Seine Angebetete muss sich entscheiden, ob sie im Technicolor-Nirvana verharren oder ihr Leben in realer Tristesse fristen will.

 

Die beiden Zeitebenen des Films teilen ihn in zwei Hälften: Bis zur Scanner-Session besteht „The Congress“ aus Realbildern, danach aus Animationen. Was genauso unterschiedlichen Qualitätsstufen entspricht.

 

Genialer Zeichner auf schlechtem Trip

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Side Effects" - Psycho-Thriller über Antidepressiva von Steven Soderbergh

 

und hier einen Bericht über den Film "The Substance: Albert Hofmann’s LSD" - ausgezeichnete Doku über die halluzinogene Droge von Martin Witz

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung “Mythos Goldenes Dreieck” über das südostasiatische Opium-Anbaugebiet im Ethnologischen Museum, Berlin

 

Der erste Teil ist eine beklemmend konsequentes Gedankenspiel über die Folgen schrankenloser Selbstvermarktung und das Verhältnis von Original, Kopie und Identität. Man braucht nicht seinen DNA-Code preisgeben, um sich selbst zu verlieren; ein Facebook account genügt.

 

Die zweite Hälfte wirkt mit den Worten einer Filmfigur wie „Bilder eines genialen Comic-Zeichners auf einem schlechten LSD-Trip“; als hätte Regisseur Folman zu viele Wunderpillen genascht, vor denen er doch warnen will. Sinnlos überladene Tableaus voller verspielter Details verstreuen zwar reichlich Augenpulver, kaschieren aber nicht die Banalität der Fabel.

 

Weniger wäre mehr gewesen

 

Deren Grundzüge stammen aus der Jungsteinzeit: Mama will ihr Kind retten, edler Recke hilft dabei, gütiger Geist wehrt bösen Dämon ab. In dieser archaischen Heldensaga hat Reflexion über Chancen und Gefahren psychoaktiver Substanzen keinen Platz; es sei denn als Geraune über Zaubertrank.

 

Gute science fiction wählt ihre Stilmittel sorgfältig aus. Wenn per definitionem alles möglich ist, sollte man sich tunlichst beschränken und testen, wohin eine kluge Kombination weniger Elemente führt; ansonsten versinkt sie in Beliebigkeit. Wie Folmans Film: Er lässt seiner visuellen Fantasie die Zügel schießen und landet doch nur im 3D-Tuschekasten. Dass zuviel Rausch bösen Kater verursacht, wussten schon die alten Ägypter.