
Im Stück „Lagos Business Angels“ ließ die Theatergruppe „Rimini Protokoll“ 2012 zwei Wirtschaftswelten aufeinanderprallen: In einer Mischung aus casting show und reality theatre trafen in der Berliner HAU-Bühne fünf Geschäftsleute aus Nigeria, dessen Wirtschaft derzeit rasch wächst, auf fünf europäische Unternehmer. Ihr Auftrag: Projekte für eine erfolgreiche Zusammenarbeit einfädeln.
Info
Dramaconsult
Regie: Dorothee Wenner
80 Min., Deutschland 2012
mit: Dolapo Ajayi, Sam Aniama, Jude Fejokwu
Mehr Theater als Börse
Drei Geschäftsleute aus Lagos – ein Immobilien-Entwickler, Autoteile-Händler und Schuhmacher – haben das casting gewonnen. Sie kommen nun in den Genuss einer Beratung durch die Firma „Dramaconsult“, die dem Theater näher steht als der Börse, wie der Name verrät. Zwei Coaches begleiten Dolapo, Sam und Femi auf einer Reise nach Berlin, Frankfurt und Hamburg.
Offizieller Filmtrailer
Den Investoren Scheu + Ängste nehmen
Hier wollen die drei Unternehmer aus Lagos deutsche Investoren davon überzeugen, ihrem Vorhaben auf die Sprünge zu helfen. Es geht um das richtige Auftreten, klare Strategien, eine überzeugende Video-Präsentation und nicht zuletzt den Umgang mit der deutschen Mentalität: vor allem der hiesigen Scheu vor Risiken und gewisser Ängste vor dem dunklen Kontinent.
Schließlich dringen aus Nigeria vor allem schlechte Nachrichten nach außen: über Armut, Korruption und Stromausfälle; ganz zu schweigen von den dubiosen „Geschäfts-Ideen“ ominöser Banker, deren Emails im Spam-Ordner landen.
Luxus-Bauten statt Sozialwohnungen
All das spiegelt sich in Gesichtern und Gesten der potentiellen deutschen Geschäftspartner, wenn die Truppe aus Lagos samt Kamerateam bei ihnen aufläuft: Dolapo, immer schick mit Fedora-Hut und Wollhandschuhen, sucht für eine Wohnanlage Architekten. Die können kaum glauben, dass es ihm nicht um sozialen Wohnungsbau für wenig Geld geht, sondern um Luxus-Bauten für die Ober- und Mittelschicht.
Sam handelt schon seit Jahren mit gebrauchten Auto-Ersatzteilen. Er macht Bekanntschaft mit Übersee-Kaufleuten, in deren Büros noch die Zeit nachhallt, in der man in Hamburg von „Deutsch-Südwest“ und „Togoland“ sprach und dorthin Segelschiffe schickte. Und der feingeistige Schuhmacher Femi muss bei seinem Besuch beim Leder-Großhändler lernen, dass selbstbewusstes Auftreten ebenso wichtig ist wie ein sauber gefertigter Schuh.
Exportweltmeister wollen nur verkaufen
Von ihren ursprünglichen Absichten bleibt jedoch wenig übrig: die Exportweltmeister wollen nicht in Nigeria investieren, sondern ihre Waren dort absetzen. Warum sollte der unternehmerische Ehrgeiz, mit dem Deutschland sich als wirtschaftliche Führungsmacht Europas etabliert hat, vor einem afrikanischen Land Halt machen?
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit
Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Goldrausch" - Doku über die Geschichte der Treuhand von Prod. Thomas Kufus
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Afropolis" - über Gründe und Probleme der Verstädterung in Afrika in Köln und Bayreuth
und hier eine Rezension der Ausstellung "Letzte Ölung Nigerdelta" - über das "Drama der Erdöl-Förderung in zeitgenössischen Fotografien" im Museum für Völkerkunde, München.
Je 90 Prozent wollen etwas anderes
Obwohl das Trio durchaus interessante Geschäftsbeziehungen geknüpft hat: Dolapos Wohnanlage wird gebaut, Sam importiert nun neue Ersatzteile anstelle der gebrauchten, und Femi hat eine Schuh-Designerin gefunden.
In der Diskussion nach der Filmpremiere nannte Heiko Schwiderowski, Afrika-Referatsleiter des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), die passenden Zahlen zu dieser schwierigen Partnerschaft: 90 Prozent der deutschen Firmen wollen nach Nigeria nur exportieren, 90 Prozent der Nigerianer suchen dagegen Direktinvestitionen. Da kommt man nicht leicht zusammen.
Ein eindeutiges Resultat, obwohl es dieser Film mit seinem speziellen Aufbau nicht zeigen oder nur andeuten kann: Natürlich wollen die überrumpelten Deutschen vor laufender Kamera nicht allzu deutlich werden. Doch ihre Reaktionen sprechen Bände – in diesem ebenso amüsanten wie subtil eingefädelten filmischen Experiment.