Zeitschriften sind ein Spiegel ihrer Zeit. Bestimmte Journale prägen eine ganze Dekade, verschwinden dann von der Bildfläche und werden durch andere ersetzt. Den oberflächlichen Zeitgeist der 1980er Jahre verkörperte hierzulande kein Magazin so sehr wie „Tempo“. Das Heft war stets flott geschrieben, immer sehr trendig und ziemlich inhaltsleer. Einer seiner maßgeblichen Redakteure war Christian Kracht.
Info
Finsterworld
Regie: Frauke Finsterwalder
91 Min., Deutschland 2013
mit: Corinna Harfouch, Michael Maertens, Sandra Hüller, Ronald Zehrfeld
Idyll mit finsterer Seite
Das reichlich surreale Drama ist ein klarsichtiger Zerrspiegel für das Deutschland der Gegenwart. „Finsterworld“ zeigt verschiedene Protagonisten in einem sonnendurchfluteten Idyll, das im Verlauf der Handlung zunehmend seine finstere Seite offenbart.
Offizieller Filmtrailer
Bestechung mit Fußpflege-Creme
Ein in einer Waldhütte lebender Einsiedler nimmt einen verletzten Vogel zu sich nach Hause. Der Fußpfleger Claude (Michael Maertens) wird auf dem Weg zu seiner Lieblingskundin vom Polizisten Tom (Ronald Zehrfeld) angehalten und besticht ihn mit Fußpflege-Creme. Tom schenkt sie seiner Freundin (Sandra Hüller), die eine frustrierte Dokumentarfilmerin ist.
Die Schulklasse einer Privatschule fährt mit ihrem Geschichtslehrer (Christoph Bach) zur Besichtigung einer KZ-Gedenkstätte. Die Eltern (Corinna Harfouch, Bernhard Schütz) eines dieser Schüler haben sich in einem Luxushotel einquartiert, sind aber chronisch unzufrieden.
Wie eklige Käfer im Vorstadt-Rasen
Allmählich werden diverse persönliche Beziehungen zwischen den einzelnen Akteuren offenkundig. Darüber hinaus sind in diesem Film alle Figuren durch ein geheimnisvolles unsichtbares Netz miteinander verbunden.
Vordergründig herrscht zwar eitel Sonnenschein, doch unter der Oberfläche breitet sich das Abgründige und Böse aus; wie die ekligen Käfer, die verborgen im makellosen Vorstadt-Rasen des Mystery-Thrillers „Blue Velvet“ (1986) von David Lynch krabbelten und knackten.
Leichtfüßig und eigenständig
Die diffus bedrohliche Atmosphäre seiner Filme ist legendär. Von den sehr wenigen Versuchen in Deutschland, sie nachzuempfinden, ist „Finsterworld“ als erster uneingeschränkt gelungen. Das böse Märchen „Freischwimmer“ von Andreas Kleinert überzeugte 2007 nicht ganz.
Lesen Sie hier ein Interview mit Frauke Finsterwalder über ihren Film: "Große Sehnsucht nach Nähe in Nordeuropa" und hier einen Beitrag zum Film “Was bleibt” von Hans-Christian Schmid, ein Drama um eine Familienaufstellung mit Corinna Harfouch und hier einen Bericht über den Film "Dr.Ketel- Der Schatten von Neukölln" - sozialkritischer Thriller von Linus de Paoli und hier eine Rezension des Films "Der feine Unterschied" - gelungenes Sozial-Drama von Sylvie Michel Hintergrund
Dialoge wirken wie heiße Luft
Bereits der Titel verrät, welcher absurde Humor dieses Werk durchzieht: „Finsterworld“ ist die finstere Welt von Regisseurin Frauke Finsterwalder, die früher Dokumentarfilme machte, wie die frustrierte Franziska Feldenhoven im Film. Zugleich deutet die Namensgebung an, dass hier nicht alles so ernst zu nehmen ist, wie es sich gerne gibt.
All die bedeutungsschwangeren Dialoge über NS-Vergangenheit, deutsche Identitätsprobleme und dysfunktionale Familienstrukturen wirken einerseits wie heiße Luft. Doch zugleich verraten sie indirekt erstaunlicherweise sehr viel über das Ausmaß an Neurosen und Verdrängtem, das die Protagonisten quält.
Verkapselung + Kälte
Der Ausgangspunkt für „Finsterworld“, erläutert die mittlerweile in Afrika lebende Regisseurin, sei ihr Eindruck von menschlicher Verkapselung und Kälte gewesen, als sie nach langer Abwesenheit erstmals wieder Deutschland besuchte. Das sieht man dem Film an: Er zeigt eine Welt von Gefühlskrüppeln, die zwar meist liebenswert, aber auch arg beziehungsgestört sind.