Wien

Gottfried Helnwein − Retrospektive

Gottfried Helnwein: The Disasters of War 3, 2007, Öl und Acryl auf Leinwand. Sammlung Christian Baha. Foto: Albertina, Wien, 2013
Erlesene Elends-Pornographie: Perfekt hyperrealistisch malt und fotografiert Helnwein Kinder als Gewaltopfer und Nazis mit Comicfiguren − womit er Millionen erreicht. Die Albertina richtet ihm nun die bislang größte Werkschau in Europa aus.

Wenn es eine Hölle gibt, dann ist Gottfried Helnwein ihr Porträtist. Diese Hölle kommt mit wenigen Requisiten aus: Kahle Räume genügen, in denen nur ein Tisch oder Bett unter fahlem, kalten Licht steht. Dazu der Inhalt eines Arzt-Koffers: Bandagen und Mull, Klammern und Spangen sowie Instrumente, um Körperöffnungen zu spreizen und zu fixieren. Ein virtuoser Arrangeur wie Helnwein kann damit unendlich viele Qualen zufügen.

 

Info

 

Gottfried Helnwein − Retrospektive

 

25.05.2013 - 13.10.2013
täglich 10 bis 18 Uhr, mittwochs bis 21 Uhr in der Albertina, Albertinaplatz 1, Wien
 
Katalog 25 €
 
 
Das zeigt die Albertina anhand von 150 seiner Arbeiten. Diese bislang größte Retrospektive in Europa bietet einen Überblick über sein Gesamtwerk. Sonst begegnet man seinen Bilder meist punktuell: als Schockeffekt in anderem Kontext, etwa als Zeitschriften-Illustration. Hier wird nun Helnwein geballt vorgeführt − und das Ergebnis ist niederschmetternd.

 

6 Millionen verkaufte Selbstporträts

 

Dabei ist er einer der populärsten Künstler unserer Zeit: Millionen besitzen ein Bild von ihm. Sein Selbstporträt hinter Glasscherben mit bandagiertem Kopf und in die Augen stechenden Gabeln zierte die „Blackout“-LP der Hardrock-Band „Scorpions“ von 1982, die sich sechs Millionen Mal verkaufte.

Impressionen der Ausstellung


 

C.D. Friedrichs „Eismeer“ als Stilübung kopiert

 

Auch sein Poster-Motiv „Boulevard of Broken Dreams“, auf dem James Dean rauchend durch den Regen stapft, dürfte die Wohnungen Hunderttausender von Kinofans schmücken. Doch das Faible des Künstlers für die US-Populärkultur mit ihren Filmstars und Comicfiguren spiegelt die eher harmlose Seite seines Gemüts. Die andere ist viel düsterer.

 

Ihre Bilderfindungen wirken so übermächtig, weil der gebürtige Wiener ein exzellenter Handwerker ist. Seine hyperrealistische Malweise besticht mit perfekter Lichtführung und Lasurtechnik; wenn ihm danach ist, kopiert er als Stilübung das „Eismeer“ von Caspar David Friedrich.

 

Obsessive Beschäftigung mit Foltervarianten

 

Oft lässt sich kaum ausmachen, ob es sich um Gemälde oder Fotografien handelt, die er regelmäßig anfertigt. Nichts weist auf das Gemachte dieser Arbeiten hin; fast alle könnten zu einer Fotoreportage in der Tagespresse gehören. Das macht sie so brutal.

 

Helnweins bevorzugte Modelle sind Kinder: malträtiert, geschlagen, gefesselt und geschändet, mit allen erdenklichen Blessuren, Verletzungen und Verstümmelungen, in endlosen Spielarten. Natürlich will er damit gegen Gewalt gegen Kinder protestieren und wünscht diesen unschuldigen Wesen nur das Beste − aber seine obsessive Beschäftigung mit Foltervarianten wirkt doch arg befremdlich.

 

Gleiche Sujets füllen ganze Wände

 

Seit dem Marquis de Sade dürfte niemand derart viele verschiedene Torturen ersonnen haben, zumal über lange Zeit hinweg: Helnwein arbeitet so seit mehr als 40 Jahren. Da aber auch für erfinderische Köpfe die Zahl möglicher Quälereien begrenzt ist, hat er nach seinem Weggang in den angelsächsischen Raum − 1997 zog er nach Irland, 2002 richtete er ein Atelier in Los Angeles ein − seine Werke aufgebläht: Nun füllt er mit den gleichen Sujets ganze Wände.

 

Dort dürften auch seine beiden anderen Motivkreise Anklang finden: Nazis und Comic-Helden. Hitler und Konsorten beschwor er schon in Österreich gern herauf; natürlich als Memento für die unbewältigte Vergangenheit seiner Heimat. Die Figuren von Walt Disney setzte Helnwein dagegen als versöhnlichen Akzent ein: Eine andere, heitere Welt ist möglich.

 

Derangierte showbiz-Promis

 

Neuerdings treffen der Gröfaz und seine Spießgesellen direkt auf Micky Mouse und Donald Duck, bevorzugt bei schummrigem Dämmerlicht wie in Filmen der Schwarzen Serie. Das erscheint so bizarr wie geschmacklos.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Maria Lassnig: Der Ort der Bilder" - mit Körper-Bildern der österreichischen Malerin in Hamburg

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Mel Ramos – 50 Jahre Pop Art" - umfassende Werkschau des Kaliforniers in Völklingen

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung “Hyper Real – Die Passion des Realen in Malerei und Fotografie” mit fotorealistischen US-Künstlern in Wien und Aachen

 

Doch des Künstlers Horizont reicht weiter. Ob abgetriebene Föten, entstellte Kriegsversehrte oder sein eigenes, kunstvoll deformiertes Konterfei: Jede körperliche Abnormität ist ihm willkommen, um sie auf XXL-Format aufzuplustern. Selbst showbiz-Promis wie Mick Jagger und Andy Warhol sehen auf seinen Fotos reichlich derangiert aus.

 

Antifa-Agitprop für RTL-2-Zuschauer

 

Diese Megalomanie des Monströsen ist nicht nur wohlfeil, sondern auch schlicht gestrickt. Sie würzt nur mit den stärksten Reizen − Gewaltopfer, SS-Schergen, Jesus-Parodien, Kinder und ihre Spielzeuge − und rührt sie willkürlich durcheinander: visueller Antifa-Agitprop für RTL-2-Zuschauer, die nur bei grellsten blockbuster special effects aufmerken.

 

Wie substanzlos diese Holzhammer-Ästhetik ist, zeigt sich, wenn Helnwein positiv sein will. Seine 48 Porträts berühmter Frauen, gedacht als feministische Antwort auf eine ähnliche Serie von Gerhard Richter mit lauter Männern, sind völlig nichtssagend. Aber er kann auch anders.

 

Kaum Theater- + Opern-Bühnenbilder

 

Etwa, wenn er gelegentlich Theater- oder Operninszenierungen ausstattet: Da gelingen ihm beeindruckend vielschichtige Bühnenbilder. Davon zeigt die Schau leider kaum etwas. Die Freude am Schrecken und der Kitzel des Grauens waren wohl übermächtig.