Axel Ranisch

Auf den Wellen des Moments reiten

Axel Ranisch. Foto: Edition Salzgeber
Regisseur Axel Ranisch hat Erfolg mit Low- bis No-Budget-Filmen: Er dreht ohne Förderung oder Drehbuch, dafür mitten aus dem Leben. Ein Gespräch über seinen Überraschungs-Hit "Dicke Mädchen" und den Nachfolger "Ich fühl mich Disco".

Herr Ranisch, wie viel von Ihnen selbst steckt im pubertierenden Florian, der Hauptfigur ihres Films?

 

Im ersten Drehbuch-Entwurf noch mehr als jetzt. Mit der Zeit hat sich die Figur Florian selbstständig gemacht, vor allem mit der Besetzung durch Frithjof Gawenda. Es gibt viele Szenen, in der ich sehr genau weiß, wie sich Florian wohl gefühlt hat.

 

Ihre Eltern waren Leistungssportler. In welcher Sportart?

 

Info

 

Ich fühl mich Disco

 

Regie: Axel Ranisch

95 Min., Deutschland 2013

mit: Frithjof Gawenda, Heiko Pinkowski, Christina Große, Robert Alexander Baer

 

Website zum Film

 

Meine Mutter war Leichtathletin, mein Vater Wasserspringer und später auch Trainer für Wasserspringen. Aber: Meiner Mutter geht es gut. Sie sagt: Du hast ganz schön aus dem Nähkästchen geplaudert. In diesem Fall hat es eher meinen Vater getroffen. So etwas passiert, wenn Eltern ihren Söhnen nicht rechtzeitig verbieten, Filmemacher zu werden. Jetzt können wir an meine Mutter ran. Sie kann sich schon warm anziehen.

 

Superhelden sind langweilig

 

Eine Stärke des Films ist, dass er normale Menschen porträtiert, was zur Identifikation einlädt. Wieso verzichten Sie auf kinotypische, glänzende Helden?

 

Ich mag normale Menschen ziemlich gern. Mit Genrefilmen konnte ich immer wenig anfangen. Ich habe als Kind keine Comics gelesen und fand Superhelden immer langweilig.


Offizieller Film-Trailer von "Ich fühl mich Disco"


 

Kein Typ, der gern herumschreit

 

Ihren Filmen ist eine gewisse Harmonie förmlich anzusehen. Liegt das daran, dass sich die Beteiligten mittlerweile gut kennen?

 

Ich bin kein Typ, der gerne rumschreit. Ich brauche diese Harmonie und bin gerne mit meinem Team und den Schauspielern befreundet. Heiko Pinkowski, der Darsteller von Vater Hanno, und ich müssen nicht mehr reden: Wir verstehen uns mit Blicken und Lauten. 

 

Der Film sollte eigentlich Ihr Spielfilm-Debüt werden, oder?

 

Ja, nun ist er mein dritter Film geworden, aber zugleich mein erster Langfilm. Ich habe daran seit 2008 gearbeitet, also seit über fünf Jahren. Nach zwei Jahren Drehbuch-Entwicklung wurde das Buch nicht mehr besser, sondern schlechter. Ich verlor die Lust.

 

Wir haben versucht, zwischen Redakteurin, Produzentin und mir Kompromisse zu finden, aber das ist ausgeufert. Nach vier Jahren habe ich die Notbremse gezogen und gesagt: Gut, dann wird der Film eben nix. Ich höre auf. Man muss auch loslassen können. Anfangs erlitt ich Zusammenbrüche, wenn der Film wieder um ein Jahr verschoben wurde. Irgendwann hat mich das nicht mehr getroffen.

 

Improvisierte Filme mit alter, billiger Kamera

 

Sie erzählen jetzt recht locker davon, aber das war damals sicher anders?

 

Der aufgestaute Frust, dass mein Diplomfilm nicht vorankam, entlud sich, indem ich „Dicke Mädchen“ drehte. Ohne diesen Frust wäre „Dicke Mädchen“ nicht entstanden. Ich habe ihn gemacht wie früher, bevor ich auf die Filmhochschule ging. Mit einer alten, billigen Kamera in der Hand drehte ich mit Freunden improvisierte Filme.

 

Hat der Erfolg von „Dicke Mädchen“ nicht auch Ihre Methode bestätigt?

 

Er hat mir gezeigt, dass es bestimmte Bedingungen gibt, unter denen ich am besten arbeiten kann. Dazu gehört, dass man nicht jahrelang über Dialoge quatscht, sondern die von den Schauspielern selbst erfinden lässt. Dass man chronologisch dreht, was einen anderen Arbeitsprozess mit sich bringt.

 

Ich schneide immer direkt nach dem Drehen. So wissen die Redakteure und Produzenten zwar nicht vorab, was ich mache, aber sie können es stattdessen direkt sehen. Jeder sieht den Film wachsen. Theoretisch könnte an verschiedenen Punkten nachgebessert werden; das ist aber nie passiert! Am Ende hatten wir nur acht Seiten Drehbuch. 

 

Wie ungewöhnlich ist diese Art und Weise, zu arbeiten?

 

Andere Regisseure drehen auch so. Andreas Dresen benutzt meist keine Drehbücher. Seine Filme „Wolke 9“, „Halbe Treppe“ und zuletzt „Halt auf freier Strecke“ sind nur auf der Grundlage von Szenenablauf und treatment entstanden. Da wird den Schauspielern kein Dialog vorgegeben. 

 

Zauberhafte Momente einfangen + ausstellen

 

Welche Rolle spielt Intuition für Ihre Arbeit?

 

Wir haben das mal in einem kleinen Manifest beschrieben. Die Intuition steht ganz oben: Sie ermöglicht es uns, auf den Wellen des Moments zu reiten. Manchmal passieren unerwartete Dinge. Schauspieler können Eingebungen genau so umsetzen, wie ich Ideen, die mir plötzlich kommen. Dafür muss man immer offen sein; das ist das oberste Gebot. So arbeitet man am Theater auch.

 

Beim Film können wir dank der Kamera solche Momente einfangen und wie in einem Museum in unserem Film ausstellen. Möglichst viele solcher zauberhaften Momente festzuhalten, ist wunderschön. In „Ich fühl mich Disco“ kommt Papa Hanno besoffen nach Hause und bricht durch die Tür. Das stand nirgendwo und ist einfach passiert, sorgt aber für die meisten Lacher.