
Willkommen bei den Mujić: Ohne Vorwarnung wirft der Film das Publikum mitten hinein in das Leben von Schrottsammler Nazif und seiner Familie. Draußen ist Winter. Das Leben findet in nur einem einzigen Raum statt, in dem der Kochofen steht. Hier ist es warm.
Info
Aus dem Leben eines Schrottsammlers
Regie: Danis Tanović,
74 Min., Frankreich/ Bosnien-Herzegovina 2013;
mit: Senada Alimanović, Nazif Mujić, Sandra Mujić, Šemsa Mujić
Totes Ungeborenes im Bauch
Als Senada eines Tages große Schmerzen bekommt, leiht sich Nazif ein Auto und fährt mit ihr in eine Klinik in der Stadt. Die Untersuchung ergibt, dass das Ungeborende in Senadas Bauch tot ist und sie schnell operiert werden muss. Aber die Familie hat keine Krankenversicherung.
Offizieller Filmtrailer
Weder Ratenzahlung noch Mediziner-Ehre
980 bosnische Mark (ca. 500 Euro) für eine Operation kann Nazif nicht aufbringen. Sein Betteln um Ratenzahlung und Appellieren an die Mediziner-Ehre helfen nichts; die Klinikleitung bleibt hart. Für Nazif beginnt ein zehntägiger Kampf mit Hilfsorganisationen und anderen staatlichen Stellen um das Leben seiner Frau.
Diese Geschichte hat sich ziemlich genau so zugetragen. Ein Zeitungsartikel machte Regisseur Danis Tanović, der 2002 mit der Kriegsparabel „No man’s land“ den Auslands-Oscar gewann, auf das Schicksal dieser Familie aufmerksam. Nach einem persönlichen Treffen beschloss er, eine Art semi-dokumentarisches re-enactment der Ereignisse mit den Betroffenen selbst zu drehen. Seine mutige Entscheidung wurde auf der Berlinale 2013 mit dem Großen Preis der Jury belohnt.
Ansatz wie im Neorealismus
Nur neun Tage dauerten die Dreharbeiten an Originalschauplätzen mit DV-Kamera und winzigem Team, was intensive Nähe zum Geschehen und den Personen herstellt. Doch auch die anderen Personen im Dorf, selbst manche Ärzte sind authentisch. Dieser Ansatz erinnert das an neorealistische Kino im Italien der 1940/50er Jahre, in dem Geschichten einfacher Menschen mit Laiendarstellern erzählt wurden.
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit
Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Just the wind - Csak a szél" - Drama über eine Roma-Familie von Bence Fliegauf
und hier einen Bericht über die Dokumentation “Newo Ziro – Neue Zeit” – über Sinti + Roma in Deutschland von Robert Krieg + Monika Nolte
und hier einen Beitrag über den Film "Cirkus Columbia" - Tragikomödie über einen bosnischen Gastarbeiter von Danis Tanović
Industrie-Schlote lassen alles ergrauen
Außerhalb des Dorfes rauchen riesige Industrie-Schlote, die alle Fassaden schnell ergrauen lassen. In der kleinen Dorfgemeinschaft ist das Leben gut organisiert: Man hilft einander und leiht zum Beispiel ohne viele Nachfragen das Auto aus. Außerhalb des Dorfes sind die Vorurteile groß; Roma werden mit wenig Respekt behandelt.
So muss sich das Paar gefallen lassen, im Krankenhaus geduzt zu werden. Dass es die OP-Rechnung sofort bezahlen soll, dürfte auch an allgemeinem Misstrauen gegenüber Roma liegen, womit die Klinikleitung wissentlich das Leben ihrer Patientin gefährdet.
Rettung durch Kartentausch
Als alle legalen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, hilft nur eine kriminelle Handlung. Senada geht mit der Versicherungskarte einer Verwandten in ein anderes Krankenhaus, wo ihr sogleich geholfen wird: ein verdientes happy end. Obwohl die Protagonisten in wenig schönen Bildern leicht hölzern agieren, schlägt der Film den Zuschauer in Bann. Echter wäre nur eigene Anschauung vor Ort.