Nico Sommer

Silvi

Silvi (Lina Wendel) mit ihrem Affärenpartner Uwe (Harald Polzin). Foto: © Alexander DuPrel/Quelle: BILDKRAFT
(Kinostart: 3.10.) Nach der Ehe in den Kontaktbörsen-Dschungel: Silvi trifft auf von Midlife Crisis geschüttelte Männer mit allerlei Macken. Jung-Regisseur Nico Sommer begleitet seine neugierige Hauptfigur voller Sympathie auf ihrer Liebes-Odyssee.

„Du kennst jeden Pickel an mir, ich kenn‘ jede Falte an dir; ich weiß, was du einkaufst. Das ist doch ’n Albtraum“, sagt der Mann und beendet damit prosaisch die fast 30-jährige Ehe mit seiner Frau. Silvi (Lina Wendel), Buchhändlerin aus Ostberlin, neigt aber nicht zum Trübsal blasen. Sie fängt mit 47 Jahren noch einmal neu an.

 

Info

 

Silvi

 

Regie: Nico Sommer,

97 Min., Deutschland 2013;

mit: Lina Wendel, Thorsten Merten, Harald Polzin

 

Website zum Film

 

Aber etwas fehlt. Eine Freundin rät ihr, sich einen Liebhaber zuzulegen, vielleicht auch mehrere. Also gibt Silvi eine Kontaktanzeige auf und muss nicht lange auf Antworten warten. Ehe sie sich’s versieht, ist sie mitten drin im Liebesmarkt der Metropole mit seinen Auswüchsen und Abgründen. Neugierig und unvoreingenommen lässt sich Silvi darauf ein: Nach der Ehe mit ihrem ersten und bis dahin einzigen Mann hat sie einiges nachzuholen.

 

In Wahrheit ist alles noch viel krasser

 

Oberflächlich betrachtet, erscheint die Story als eine der üblichen Abrechnungen über Neurosen und Beziehungsunfähigkeit von Singlemännern im mittleren Alter. Zumal die Handlung auf wahren Begebenheiten aus dem Umfeld von Regisseur Nico Sommer beruht: In Wahrheit sei alles noch viel krasser gewesen, sagt er.


Offizieller Filmtrailer


 

Panoptikum von Großstadt-Freaks

 

Doch so einfach ist das nicht, denn Silvi ist kein Opfer. Auch sie will Neues erfahren. Bis zu einem gewissen Punkt lässt sich treiben, geht an ihre Grenzen und darüber hinaus. Was sie tut, macht sie aus eigenem Antrieb. Wenn sie dabei auf die Schnauze fällt, bewahrt sie ihre Würde und Zuversicht: Sie steht wieder auf und geht das nächste Abenteuer genau so pragmatisch an.

 

Dafür hat Silvi ausreichend Lebenserfahrung, ist aber noch unvoreingenommen genug, sich auf die unterschiedlichsten Herren einzulassen. Deren Parade wirkt schon ein wenig wie ein Panoptikum von Großstadt-Freaks, die von ihrer midlife crisis geschüttelt werden. Einer sucht nur was zum Vögeln nebenher, der nächste steht auf Peitschen und Leder. Ein Anderer will sie sofort heiraten, hat aber noch seltsamere Gelüste.

 

Gefährtin für krude Phantasien gesucht

 

Potentielle Partner finden sich unter ihnen kaum. Dennoch sind sie keine lächerlichen Abziehbilder; sie haben eine Vorgeschichte und lange verdrängte Wünsche. Meist suchen sie auch nur eine Gefährtin, die ihre mitunter kruden Phantasien mitmacht, wenn nicht sogar teilt. Silvi nimmt das ernst, zieht aber auch Konsequenzen. Und man entwickelt ein gewisses Verständnis für diese Männer, die vielleicht das Unmögliche suchen.

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Die Schönen Tage" - lakonisches Liebesaffäre mit hinreißender Fanny Ardant von Marion Vernoux 

 

und hier eine Rezension des Films “Gloria” - über eine 58-Jährige auf Partnersuche von Sebastián Lelio mit Paulina García, Gewinnerin des Silbernen Bären 2013

 

und hier einen Beitrag über den Film Paradies: Liebe” von Ulrich Seidl über eine Wienerin Anfang 50 auf Männerjagd in Afrika.

 

Inmitten konfektionierter Großproduktionen ist dieser Film eine kleine Perle. Man merkt ihm an, dass Regisseur Sommer bisher vor allem dokumentarisch arbeitete: Viele Dialoge sind improvisiert, wodurch das Geschehen noch wahrhaftiger wirkt. Kaum zu glauben, dass er beim Drehen gerade einmal 29 Jahre alt war; so klug und differenziert fühlt sich Sommer in eine Frau der älteren Generation ein.

 

Sensationelle Lina Wendel in Hauptrolle

 

Ein wunderbares Beispiel dafür, dass gute Filme auch ohne staatliche Förderung entstehen können; dann jedoch mit viel Selbstausbeutung. Die eigentliche Sensation ist allerdings Hauptdarstellerin Lina Wendel in ihrer ersten Kino-Hauptrolle; ihr ist zu wünschen, dass viele weitere folgen mögen. Sie spielt ihre Figur herzerfrischend und berührend zugleich.

 

Ganz entfernt erinnert diese Silvi in ihrer unbeirrbaren Bodenständigkeit ein wenig an „Solo Sunny“ (1980) von Konrad Wolf. Man lässt sich gern auf diese Frau und ihre Liebesodyssee ein, folgt ihr in den Irrgarten der Single-Kontaktbörsen, um wie sie gestärkt und fröhlich wieder aufzutauchen. Von Traurigkeit am Ende keine Spur: Das Leben ist schöner, wenn man jemanden wie Silvi kennt, auch wenn es nur auf der Leinwand ist.