Wien und Berlin standen sich vermutlich nie näher als am Anfang des 20. Jahrhunderts: Beide Städte waren bedeutende Zentren, industrialisierten sich und wuchsen rasch – doch waren sie trotz vieler Gemeinsamkeiten völlig unterschiedlich. Hier die ehrwürdige Kapitale des Jahrhunderte alten Habsburger Reichs, dort die aufstrebende Hauptstadt des neu gegründeten Deutschen Reichs – quasi der Emporkömmling unter Mitteleuropas Metropolen.
Info
Wien – Berlin: Kunst zweier Metropolen von Schiele bis Grosz
24.10.2013 - 27.01.2014
täglich außer dienstags
10 bis 18 Uhr in der Berlinischen Galerie, Alte Jakobstraße 124-128, Berlin
Katalog 39,80 €
14.02.2014 - 15.06.2014
täglich 10 bis 18 Uhr, mittwochs 10 bis 21 Uhr im Belvedere, Rennweg 6, Wien
Secession vs. Kunstakademie
Den Auftakt machen die Gründungen der „Secessionen“ als Gegenveranstaltungen zum akademischen Kunstbetrieb. In Berlin propagieren Maler wie Walter Leistikow, Max Liebermann oder Lesser Ury ihre antiakademische Haltung mit der Formensprache von Impressionismus und Realismus.
In Wien wollen Künstler wie Gustav Klimt, Josef Hoffmann oder Koloman Moser das moderne Leben mit der Kultur versöhnen, indem sie es durch Kunst, Design und hochwertiges Handwerk ästhetisch aufwerten. Im folgenden Stilpluralismus ab 1910 zeichnet die Schau ganz unterschiedliche Strategien der Künstler nach.
Feature mit Statemens von BG-Direktor Thomas Köhler, Belvedere-Direktorin Agnes Husslein-Arco, der Kuratoren + Impressionen der Ausstellung; © Berlinische Galerie
Frauen-Porträts tauschen sich aus
In beiden Städten werden radikale wie subtile Methoden verfolgt: vom Jugendstil über Expressionismus und Dada bis zur Neuen Sachlichkeit. Beeindruckend, wie die Kuratoren verschiedene Positionen in Wien und Berlin zusammenführen; etwa durch über Eck gehängte Frauen-Porträts, die sich quasi miteinander austauschen.
Klimts Bildnis der „Johanna Staude“ von 1917/18 zeigt kein für ihn typisches, überbordendes Ornament. Der Mantel der jungen Frau zerfranst nicht in Gold-Dekor, sondern bildet ein florales Muster fast sachlich ab. Wie der Original-Stoff, der in den „Wiener Werkstätten“ entworfen wurde und nun in einer Vitrine ausliegt.
Schwungvolle Ausfallschritte
Doch auch im eher nüchternen Berlin wagen manche Maler ausgelassene Ausflüge in den Jugendstil. Eugen Spiros „Die Tänzerin Baladine Klossowska“ von 1901 legt einen schwungvollen Ausfallschritt aufs Parkett; ihr schwarzes Kleid ist bar jeder Ornamentik. Ein Porträt, das den bedeutungsschwangeren Symbolismus des fin de siécle lustvoll modern interpretiert.
In Wien sei eben nicht nur Jugendstil entstanden und in Berlin nicht nur Sachlichkeit, betonte zur Eröffnung Agnes Husslein-Arco, Direktorin des Belvedere in Wien: Hartnäckige Klischees über den vermeintlichen Charakter beider Städte müssten relativiert werden. Das zeigen schon formale Gemeinsamkeiten.
Ironische Seitenhiebe
Etwa die pastose Nervosität, mit der Egon Schiele den Wiener Verleger Eduard Kosmack porträtiert – wie zugleich Erich Heckel in Berlin seinen Brücke-Kollegen Ernst Ludwig Kirchner. Allerdings lud das Konkurrenzdenken in beiden Städten auch zu ironischen Seitenhieben ein.
Wenn der Wiener Herbert Boeckl 1921 eine „Berlinerin“ malt, dann fällt ihr Konterfei bei aller Abstraktion doch auffällig knollennasig aus. Es erinnert eher an Rembrandts Spätwerke als an die flächig-zackige Malweise der Berliner Expressionisten, die sich für exotische Motive und Lebensreform-Ideen begeistern.
Kein Dada in Wien
Deren Liebe zum Nudismus scheint der Österreicher Anton Kolig mit seinem Gemälde „Kniender Narziss“ respektvoll spöttisch zu kommentieren. Nichtsdestoweniger tauschen sich die Protagonisten des Expressionismus in beiden Städten intensiv aus: So beliefern Wiener Künstler wie Egon Schiele und Oskar Kokoschka regelmäßig die Berliner Zeitschriften „Der Sturm“ von Herwarth Walden und „Die Aktion“ von Franz Pfemfert mit Zeichnungen und Beiträgen.
Es gibt aber auch regionale Sonderwege. Nach dem Ersten Weltkrieg wird der Dadaismus in Berlin zu einer der radikalsten Avantgarde-Strömungen überhaupt; in Wien findet hingegen diese Antikunst überhaupt nicht statt. Umgekehrt ist der österreichische Kinetismus, der Anfang der 1920er Jahre Merkmale von Futurismus, Kubismus und Orphismus verschmilzt, in Berlin praktisch unbekannt.