Berlin

Ausweitung der Kampfzone: Die Sammlung 1968 – 2000

Philip Pearlstein: Female Model on Chrome Stool, Male Model on Floor (Detail); Acryl auf Leinwand, 1979. Foto: ohe
Begraben unter der Last der deutschen Geschichte und sperrigem Plunder: Nach den gelungenen ersten beiden Teilen enttäuscht die dritte Sammlungs-Präsentation der Neuen Nationalgalerie mit Werken von 1968 bis 2000. Da hilft nur Entrümpelung.

Wie sich die Zeiten ändern: Vor zwei Jahren begeisterte die Neue Nationalgalerie die Kunstwelt mit ihrer Sammlungs-Präsentation von Werken aus den Jahren 1945 bis 1968. „Der geteilte Himmel“ war schlüssig komponiert, souverän ausbalanciert und überraschte mit lange vernachlässigten Künstlern.

 

Info

 

Ausweitung der Kampfzone: Die Sammlung 1968 - 2000

 

08.11.2013 - 31.12.2014

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr,

donnerstags bis 20 Uhr

in der Neuen Nationalgalerie, Potsdamer Straße 50, Berlin

 

Weitere Informationen

 

Nun folgt der dritte Teil der Ausstellungs-Trilogie zur Kunst des 20. Jahrhunderts. Alles sieht anders aus: Die Zusammenstellung erscheint willkürlich. Manches Wichtige fehlt, dafür wird Nachrangiges überakzentuiert, und keine Spur von interessanten Neuentdeckungen. War der zweite Teil eine rundum gelungene Deutung der Nachkriegszeit, wirkt die jetzige Schau überfrachtet und zugleich uninspiriert.

 

So viele Meinungen wie Zeitgenossen

 

Vielleicht liegt es am Zeitraum, der bis an die unmittelbare Gegenwart heranreicht. Jeder – ob Künstler, Kurator oder Besucher – hat ihn selbst miterlebt; über die Jahre 1968 bis 2000 gibt es so viele Meinungen wie Zeitgenossen. Sie neigen dazu, jüngste Vergangenheit durch die Brille heutiger Erfahrungen zu betrachten; da setzt jeder eigene Schwerpunkte.

Interview mit Nationalgalerie-Leiter Joachim Jäger + Impressionen der Ausstellung; © "Mythos Olympia"


 

War room mit Militär-Memorabilia

 

Einen konfliktträchtigen wählen Nationalgalerie-Direktor Udo Kittelmann und ihr Leiter Joachim Jäger. „Ausweitung der Kampfzone“ heißt Michel Houellebecqs Thesen-Roman von 1994. Der Titel meint die Entfesselung des Konkurrenzprinzips in allen Bereichen: im Turbo-Kapitalismus, wo nur das ökonomisch Verwertbare zählt, wie im Liebes- und Sexualleben, in dem nur die happy few bekommen, wonach ihnen gelüstet.

 

Doch Kittelmann und Jäger verstehen die Metapher wortwörtlich als Kriegs-Erklärung und richten einen war room ein. Den ersten Saal füllen Militär-Memorabilia: ein wandfüllendes Tarnmuster-Gemälde von Andy Warhol, gegenüber Wolfgang Tillmans‘ Collage von Soldaten-Fotos und diverse Videos – bunt zusammengewürfelt, wie es bei Manövern im Feldlager aussehen mag.

 

Bleischwere Vergangenheitsbewältigung

 

Auch die deutsche Teilung, der ein Saal gewidmet ist, kommt nur als Kalter Krieg und tonnenschwere Vergangenheitsbewältigung vor. So viel dürfte das Jagdflugzeug aus Blei von Anselm Kiefer wiegen, das den Raum dominiert; gesäumt von Werner Tübkes Entwurf zum Bauernkriegs-Panorama, einer apokalyptischen Szene von Bernhard Heisig, dämonischen Sirenen von K.H. Hödicke und Agrar-Ödnis von Wolfgang Mattheuer.

 

Nebenan liegt das „Schlachtfeld Deutschland“: mit Katharina Sieverdings gleichnamiger Fotomontage von 1978, auf der GSG 9-Beamte wie Science-Fiction-Krieger aussehen. Michael Schmidts Fotoserie „Waffenruhe“ zeigt Trümmer und zwei Punks – das einzige Exponat zu dieser Bewegung. Ihre Spielart in der Kunst, die „Neuen Wilden“, sind mit nur vier Bildern von Rainer Fetting, Albert Oehlen und Martin Kippenberger vertreten; das war’s.

 

Nabelschau in allzu Nationaler Galerie

 

Dagegen füllen „Die Toten“ von Hans Peter Feldmann einen ganzen Raum: Porträts aller Opfer des Linksterrorismus der 1970/80er Jahre – eine pietätvolle und fade Fleißarbeit. Ebenso viel Platz beansprucht der „Volksempfänger“ (1975/77) von Edward Kienholz: Aus alten Radio-Apparaten krächzt Wagner-Musik als plärrendes Memento der Nazi-Diktatur.

 

Offenbar nehmen die Kuratoren das Nationale im Namen ihrer Galerie allzu ernst: Obsessive Beschäftigung mit deutscher Geschichte verdrängt, was in der übrigen Welt geschah. Während die Vorgänger-Schau „Der geteilte Himmel“ beide Sphären elegant verband und zeigte, wie internationale Strömungen hierzulande ankamen und umgekehrt, wirken diesmal ausländische Beiträge wie Fremdkörper in einer deutsch-deutschen Nabelschau. Obwohl es um die Phase am Vorabend der Globalisierung geht.

 

Rocky Horror Picture Show anstelle von 1968

 

Von der will diese Ausstellung nichts wissen. Jahrestafeln listen zwar Ereignisse wie das Musical „Rocky Horror Picture Show“ oder eine DDR-Flucht in Heißluftballons auf, doch die großen Umbrüche fehlen. Studentenbewegung und Kulturrevolution nach 1968 kommen nur als Terror-Opfer vor, No-Future-Lebensgefühl und Friedensbewegung der 1980er Jahre gar nicht, ebenso wenig die Spaßgesellschaft der 1990er Jahre.