Hamburg

Dänemarks Aufbruch in die Moderne

Peder Severin Krøyer: Sommerabend am Strand von Skagen. Der Künstler und seine Frau. © Sammlung Hirschsprung, Kopenhagen. Foto: Kunsthalle Hamburg
Als Schweißtropfen an der Nase noch Kunst-Skandale auslösten: Ab 1880 erlebte die dänische Malerei ihren "modernen Durchbruch". Wie sie sich von Nationalromantik zum radikalen Symbolismus entwickelte, zeigt die Kunsthalle nüchtern und kompetent.

Das fahle Licht des Nordens: Was alle rund 80 ausgestellten Ölgemälde gemeinsam haben, ist ihr skandinavisches Licht. Es bleicht die Farben aus und lässt sie pastellen und trocken erscheinen. Ob auf Interieurs, Porträts, Genreszenen oder Landschaften: Stets erweckt dieses eigentümliche Licht den Eindruck, hier gehe es nüchtern und gemessen zu.

 

Info

 

Dänemarks Aufbruch in die Moderne: Die Sammlung Hirschsprung von Eckersberg bis Hammershøi

 

20.09.2013 - 12.01.2014

täglich außer montags
10 bis 18 Uhr,
donnerstags 10 bis 21 Uhr

in der Hamburger Kunsthalle, Glockengießerwall, Hamburg

 

Weitere Informationen

 

Obwohl die Gemälde und Zeichnungen von 1830 bis 1900 stilistisch ein weites Spektrum umfassen: Es reicht von Natur- und Nationalromantik bis zu gemäßigtem Symbolismus. Alle Werke gehören zur Sammlung Hirschsprung, der größten privaten Kollektion dänischer Malerei im 19. Jahrhundert. Seit 1911 wird sie in einem eigenen Museum in Kopenhagen gezeigt, direkt neben dem Staatlichen Kunstmuseum.

 

Zigarren-Fabrik macht Mäzen reich

 

Heinrich Hirschsprung (1836-1908) war deutsch-jüdischer Abstammung. Im Exil wurde er mit einer Zigarren-Fabrik reich, was damals wohl leichter war als heute.  Hirschsprung trug systematisch dänische Bilder zusammen; von Kunstkennern beraten, kaufte der Fabrikant vor allem zeitgenössische Werke. Zudem unterstützte er als Mäzen aufstrebende Künstler; manche wie Peder Severin Krøyer wurden enge Freunde seiner Familie.


Impressionen der Ausstellung


 

Goldenes Zeitalter mit Aktbildern

 

Da hatte Dänemarks Kunst ihr „Goldenes Zeitalter“ schon hinter sich: In den 1820er bis 1840er Jahren hatten Vorreiter wie Christoffer Wilhelm Eckersberg und Johan Thomas Lundbye eine eigenständige, nationalromantische Malerei entwickelt. Mit Landschafts-Studien der wilden Küsten und weiten Himmel oder Genre-Szenen von Fischer und Bauern ebenso wie mit Aktbildern, die bis dahin bei sittenstrengen Protestanten verpönt waren.

 

Ihre präzise, feingliedrige Malweise erstarrte später an der Kunstakademie zu Formalismus: Die dänische Bild-Auswahl für die Pariser Weltausstellung 1878 fiel als altmodisch durch. Wie vielerorts in Europa begehrten junge Maler gegen die Akademie auf, gründeten neue Kunstvereine und orientierten sich fortan an französischen Realisten und Impressionisten.

 

Künstler-Kolonie im Küstenort

 

Es war die große Zeit der Künstler-Kolonien, die fernab der Metropolen nach Motiven und Ausdrucksformen suchten. In Dänemark entstand sie im Küstenort Skagen an der Nordspitze von Jütland. Als einer der ersten Maler ließ sich Michael Ancher 1874 dort nieder; er heiratete die Malerin Anna Bøndrum. Als 1882 der bestens vernetzte Krøyer nachzog, wurde Skagen zu einem viel besuchten Kreativ-Cluster; 1908 gründeten beide Künstler das lokale Museum.

 

Krøyer hatte 1880 die feine Gesellschaft der Hauptstadt aufgemischt: Sein fast lebensgroßes Gemälde eines italienischen Dorf-Hutmachers mit Söhnen in seiner Werkstatt löste einen Skandal aus. Nie zuvor hatte ein dänischer Maler einen schuftenden Handwerker so realistisch porträtiert; vor allem am Schweißtropfen an seiner Nase nahmen Damen aus den besseren Kreisen Anstoß.

 

Alles am Platz im perfekten Familien-Idyll

 

Dabei entging ihnen, wie subtil der Künstler das durch ein Fenster hereinfallende Gegenlicht modellierte. Virtuose Lichtregie, die ihn zu einem gefragten Porträtisten machte, wurde Krøyers Markenzeichen. Wie auf dem „Bildnis der Familie Hirschsprung“, das er 1881 für seinen Gönner malte: Es demonstriert, wie das dänische Bürgertum der Epoche gesehen werden wollte.

 

Auf einem Balkon in üppiger Vegetation steht mittig links der kunstsinnige Patriarch; er blättert versonnen in Krøyers Skizzenblock. Ihn umringen seine vier Söhne; einer liest Zeitung, zwei sehen vom Balkon, also in die weite Welt hinaus. Rechts an der schützenden Hausfassade sitzen strickend Mutter und Tochter; diese blickt den Betrachter einladend lächelnd an. Ein perfektes Familien-Idyll: Jeder nimmt den ihm bestimmten Platz ein.

 

Melancholische Räume mit Grauschleier

 

Dass trautes Heim nicht nur Glück allein, sondern auch eintönige Last bedeutete, sieht man Bildern seiner Maler-Kollegen an: Enge, schlecht beleuchtete Stuben wirken muffig oder stickig. Dunkle Silhouetten von Mägden oder Dienstboten fuhrwerken herum, weil ihre leidige Hausarbeit nimmer aufhört, während sich Herrschaften dem Müßiggang hingeben.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Die Erschütterung der Sinne" über Malerei von der Romantik bis zur Gegenwart mit Werken von Vilhelm Hammershøi im Albertinum, Dresden

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Schönheit und  Geheimnis" über den deutschen  Symbolismus in der Kunsthalle Bielefeld

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Dutch DesignHuis van Oranje" über niederländische Kunst + Design im Schloss Oranienbaum bei Dessau.

Wie monoton diese biedere Lebensweise war, hat kein Maler eindringlicher festgehalten als Krøyers Schüler Vilhelm Hammershøi. Seine Innenräume sind karg möbliert und noch sparsamer bevölkert. Taucht eine Person auf, ist sie in sich selbst versunken, liest oder fegt. Über allem liegt ein Grauschleier, der die Szene mit kaum fasslicher Melancholie überzieht.

 

Alltägliches ins Zeitlose erheben

 

Hammershøi bringt feinste Nuancen in Oberflächen-Strukturen zur Geltung; davon geht zugleich eine Tristesse aus, als stünde die Zeit still. Seine Bilder haben mit bürgerlicher Selbstdarstellung nichts mehr zu schaffen. Sie wollen weniger etwas darstellen als vielmehr eine gewisse Stimmung hervorrufen; damit streben sie in Richtung Symbolismus.

 

Auf radikale Weise knüpft Hammershøi an die Stein-Malerei der Gotik und Renaissance an; nur gibt er keine Skulpturen wieder, sondern erhebt Alltägliches ins Zeitlose. Lange kaum beachtet, wurde in den letzten 20 Jahren neu entdeckt, wie einzigartig seine fast monochrome Malweise ist: Das Guggenheim Museum in New York und die Hamburger Kunsthalle widmeten ihm große Retrospektiven.

 

Diskret inszeniert + sachlich kommentiert

 

Der „moderne Durchbruch“, wie Zeitgenossen es nannten, gelang Hammershøi besonders konsequent, doch er hatte viele Mitstreiter. Das führt die Ausstellung schnörkellos vor: mit einer lockeren Gliederung nach Maler-Generationen und Genres, die diskret inszeniert sowie knapp und sachlich kommentiert wird. Eben pragmatisch, wie im nördlichen Nachbarland üblich.