Gerhard Richter ist der berühmteste deutsche Maler der Gegenwart und der letzte Alte Meister. Sein künstlerisches Schaffen, inklusive des von ihm selbst nicht geliebten Frühwerks, umfasst bald sagenhafte 60 Jahre.
Info
Gerhard Richter:
Atlas Mikromega
23.10.2013 - 09.02.2014
täglich außer montags 10 bis 18 Uhr, dienstags 10 bis 21 Uhr in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, Luisenstraße 33, München
Chronologisches Panoptikum
Jetzt zeigt das Münchner Lenbachhaus seine „Atlas“-Sammlung: ein chronologisch geordnetes Panoptikum aus Hunderten von Eindrücken und Motiven, denen Richter im Laufe der Zeit begegnet ist und die er als bearbeitenswert für ein größeres Format erachtete.
Statements von Gerhard Richter + Impressionen der Atlas-Ausstellung im Lipsiusbau Dresden 2012; © SKD
Beim Suchen und Finden der Bilder zusehen
Wer Richters Werk kennt, der findet hier viele Motive wieder; etwa die lachenden „Party“-Gäste, seinen Nazi-„Onkel Rudi“ und natürlich Porträts seiner Tochter „Betty“; dazu Seestücke und Berglandschaften, Stillleben und Wolkenstudien, abstrakte Gemälde, Glas-Skulpturen und die digital komponierten Streifen aus jüngster Zeit. Blickt man in diesen Atlas, ist es, als könne man Richter beim Suchen und Finden seiner Bilder zusehen.
1972 wurde der noch wesentlich schmalere „Atlas“ erstmals ausgestellt. Seit 1996 gehört er dem Lenbachhaus; damals umfasste er 586 Tafeln. Heute sind es 802 Tafeln, bestückt mit Fotografien, Zeitungsbildern, Skizzen und Modellen; in den letzten acht Jahren kamen nur noch 20 Tafeln dazu.
Goldglänzender Anbau von Norman Foster
Diese Präsentation ist zugleich die letzte von Direktor Helmut Friedel, der das Lenbachhaus seit 1990 leitet. Im Mai dieses Jahres durfte er nach fünfjähriger Rundum-Sanierung den goldglänzenden Anbau von Norman Foster an die ehrwürdige Künstler-Villa des Malerfürsten Franz von Lenbach einweihen, die seit 1929 als Städtische Galerie genutzt wird. Die „Mikromega“-Ausstellung ist die erste Sonderschau nach der Neueröffnung.
Man kann beim Betrachten des „Atlas“ allerdings gut erkennen, dass Gerhard Richter ein extrem vorsichtiger, fragender Künstler ist, dem jede Festlegung zuwider ist. Oft sind seine Gemälde – vor allem die Porträts – verschwommen, als traute er der Wahrnehmung nicht; nur bei Landschaften und Himmels-Ansichten bekennt er sich zu ihr, zuweilen mit betörender Klarheit.
Schwarz-Rot-Gold statt Holocaust
Der Blick in den „Atlas“ zeigt auch, wie aus Vorsicht Zaudern wurde. Für den zum Bundestag umgebauten Reichstag schuf Gerhard Richter (Staats-)Kunst am Bau: einen gewaltigen Akkord aus Schwarz-Rot-Gold. Er hatte es zunächst mit Holocaust-Bildern probiert, sich dann aber dagegen entschieden.
Dabei hatte er diese Bilddokumente durchaus gesammelt: Zeitungsfotos mit ausgemergelten KZ-Überlebenden, auch Hitler-Bilder – aber weder die einen noch die anderen in seine großformatige Malerei überführt. Ebenso, wie der Betrachter sich abwendet, weil man kaum ertragen kann, das Unfassbare anzusehen, hat es auch der Maler gemacht.
Voltaire-Erzählung über Relativität
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension zur Ausstellung "Leben mit Pop" - eine "Reproduktion des Kapitalistischen Realismus" von Gerhard Richter in der Kunsthalle Düsseldorf
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Panorama" - große Retrospektive von Gerhard Richter zum 80. Geburtstag in der Neuen Nationalgalerie, Berlin
und hier eine Besprechung des Dokumentarfilms “Gerhard Richter Painting” von Corinna Belz
Dieser „Atlas“ ist vor allem ein intellektuelles Vergnügen für Insider: Er liefert Hintergrund-Informationen und Material für Kunsthistoriker. Das kleinteilige Motiv-Mosaik wird sparsam durch Großformate ergänzt; überwältigend sind allein vier farbintensive Wandteppiche, die nach abstrakten Gemälden in Jacquard-Technik gewebt wurden.
Kein eigenständiges Kunstwerk
Gerhard Richter lebt in Köln, doch sein Bilder-Archiv hat er nach München gegeben; was darin landete, braucht er nicht mehr. Es versteht sich von selbst, dass er den „Atlas“ nicht als eigenständiges Kunstwerk ansieht; es diene nur dazu, sein Oeuvre besser zu verstehen. Alle noch nicht ausreichend bearbeitete Bilder aber hat er behalten; so gibt es wohl noch genügend Stoff für künftige Meisterwerke.