Cristian Mungiu

Jenseits der Hügel – După dealuri

Voichita̧ (Cosmina Stratan, 3. v. re.) und die Nonnen bereiten in der Kloster-Küche das Essen zu. Foto: Wildbunch Germany
(Kinostart: 14.11.) Teufelsaustreibung im Dracula-Land: Cristian Mungiu, Cannes-Sieger 2007, entfaltet Kloster-Exorzismus zum epischen Psychogramm Rumäniens. So vielschichtig war Orthodoxie noch nie zu sehen; mit drei Preisen in Cannes 2012 prämiert.

Gottes Mühlen mahlen langsam, aber trefflich fein: Regisseur Cristian Mungiu hat sich für seinen dritten Spielfilm fünf Jahre Zeit gelassen. 2007 gewann sein zweiter Film „Vier Monate, drei Wochen und zwei Tage“ die Goldene Palme in Cannes; dieser schonungslose Abtreibungs-Report rückte den rumänischen Neorealismus ins internationale Rampenlicht.

 

Info

 

Jenseits der Hügel – După dealuri

 

Regie: Cristian Mungiu,

150 min., Rumänien/ Frankreich 2012;

mit: Cosima Stratan, Cristina Flutur, Valeriu Andriuta

 

Weitere Informationen

 

Dann feilte er lange am Skript, bevor er „Jenseits der Hügel“ im Winter 2011/12 in wenigen Wochen herunterdrehte. Um damit abermals in Cannes abzuräumen: Er wurde für das beste Drehbuch und beide Hauptdarstellerinnen als beste Schauspielerinnen ausgezeichnet – in einem zweieinhalbstündigen Epos, das sich weitgehend in einem orthodoxen Kloster abspielt.

 

McJobs oder Nonnenkloster

 

Dessen zeitlose Routine aus Beten und Arbeiten wird von einem Eindringling gestört: Alina (Cristina Flutur) besucht Voichiţa (Cosmina Stratan). Beide waren unzertrennlich im Kinderheim, in dem sie aufwuchsen. Dann trennten sich ihre Wege: Alina emigrierte nach Deutschland und schlug sich dort mit McJobs durch. Voichiţa ging ins Nonnenkloster.


Offizieller Filmtrailer


 

Kloster-Ruhe als Psycho-Therapie

 

Nun will Alina ihre Busenfreundin wie vereinbart in den Westen mitnehmen. Doch Voichiţa weigert sich: Klosterleben und Streben nach Erlösung möchte sie nicht aufgeben. Wenn Alina beteuert, sie könne ohne ihre Liebe nicht leben, kontert Voichiţa, die Liebe zu Gott sei wichtiger.

 

Das löst bei Alina einen Nervenzusammenbruch aus; im Krankenhaus hilft man ihr kaum. Ein Psychiater verschreibt Beruhigungspillen, schickt sie zurück ins Kloster und verordnet Ruhe samt Gebeten: Das werde ihr gut tun. Zunächst versucht Alina, sich den Ordensregeln zu fügen, doch auf Dauer kann sie ihre Enttäuschung und Wut nicht zügeln.

 

Teufelsaustreibung misslingt

 

Als die Lage eskaliert, wissen sich die Schwestern und ihr Priester (Valeriu Andriuţă) nicht anders zu helfen als mit einer rituellen Teufelsaustreibung. Die misslingt tragisch. Nun wird die Klosterruhe von weitaus stärkeren Kräften gestört: Polizei und Staatsanwaltschaft.

 

Die Handlung beruht auf einem ähnlichen Vorfall, der 2005 in Rumänien hohe Wellen schlug. Sieben Jahre später hat die rumänisch-orthodoxe Kirche offiziell Exorzismus verboten; im Geheimen wird er angeblich weiter praktiziert. Was aber für „Jenseits der Hügel“ unerheblich ist: Der Film ist weder offen antiklerikal, noch prangert er Heuchelei oder Aberglauben an.

 

Nur für Jenseits + Seelenheil zuständig

 

Stattdessen zeichnet Regisseur Mungiu das vielschichtige Psychogramm eines EU-Mitgliedslands, dessen geistige Zentren offenbar immer noch in abgelegenen Klöstern zu finden sind. Was dort vor sich geht, unterscheidet sich merklich von Pendants im heutigen Westeuropa. Von theologisch geschulter Intellektualität keine Spur; alles dreht sich um endlose Wiederholung heiliger Riten, sklavische Befolgung von Regeln und Wunderglauben.

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Die Nonne" - Historien-Drama von Guillaume Nicloux nach dem Klassiker von Diderot

 

und hier einen Bericht über den Film "Mutter & Sohn - Child’s Pose " - rumänischer Berlinale-Siegerfilm 2013 von Călin Peter Netzer

 

und hier eine Rezension des Films “Periferic – Outbound”packendes Mutter-Kind-Drama in Bukarest von Bogdan George Apetri

 

und hier das Interview "Mönche sind Fixsterne der Welt" mit Lambert Wilson über seine Rolle als Abt im Kloster-Film "Von Menschen und Göttern", 2010 von der Cannes-Jury prämiert.

 

Die Orthodoxie will keine Kirche von dieser Welt sein; daher betreibt sie kaum karitative Einrichtungen. Nach eigenem Verständnis ist sie nur für Reinhaltung des Glaubens und Seelenheil zuständig; die Gegenwart steht sie gleichgültig bis ablehnend gegenüber. Wer so resistent gegen Reformen bleibt, ist bei diesseitigen Problemen ratlos – und mit seinem Altkirchen-Slawisch rasch am Ende, falls Weihwasser, Psalm-Rezitationen und Fastenkuren sie nicht lösen können.

 

Kerzenlicht oder Wunschzettel

 

Eine Weltsicht, der auch die meisten Laien anhängen, die nie ein Gelübde ablegten: vom überforderten Arzt bis zum übermüdeten Fahrer. Wenn Du glaubst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her; von der Kerze, die man aufstellt, oder dem Wunschzettel, den man dem Priester zusteckt. Es kann ja nicht schaden – und enthebt die Gläubigen von der Verantwortung, sich tatkräftig um leidende Mitmenschen zu kümmern.

 

Diese Seelen-Mechanik entfaltet sich ganz allmählich in der geduldigen Beobachtung des Kloster-Alltags. In dem es geschäftig zugeht: Es muss immer eine Kapelle geschmückt, etwas herangeschafft oder repariert werden. Und Klatsch, Gerüchte oder kleine Eifersüchteleien sind auch diesen jungen Nonnen nicht fremd.

 

Wie Pasolini + Angelopoulos

 

Viele kamen in diese Glaubensgemeinschaft, weil sie keinen anderen Platz in der Welt haben. Welche Ausgeglichenheit und seelische Stabilität ihnen die Religion verschafft, zeigt „Jenseits der Hügel“ ebenfalls. Mit einer Intensität, wie sie in manchen Filmen von Pier Paolo Pasolini und Theo Angelopoulos zu sehen war – Altmeister des Autorenkinos, mit denen Regisseur Mungiu die radikal eigene Bildsprache teilt.

 

Doch Stille hinter Klostermauern bewahrt die Bewohner nicht davor, in der Außenwelt krachend zu scheitern. Am Ende sitzt die Kamera mit ihnen im Streifenwagen und starrt durchs Fenster. Minutenlang sind nur dienstliches Gerede der Polizisten und Verkehrsgeräusche zu hören: Selten war Straßenlärm so wohltuend.