
Warum lässt sich der Mann nur auf sie ein? Nach einem langen, vergeblichen casting für die Hauptdarstellerin seiner „Venus im Pelz“ raucht und telefoniert Thomas (Mathieu Amalric) allein und entnervt auf der Theaterbühne. Da stürzt diese ordinäre, Kaugummi kauende Schauspielerin (Emmanuelle Seigner) herein und verstellt ihm den Weg in seinen Feierabend.
Info
Venus im Pelz
Regie: Roman Polanski,
96 Min., Frankreich/ Polen 2013;
mit: Emmanuelle Seigner, Mathieu Amalric
SM-Porno als Weltliteratur
Aber irgendwie überfährt sie ihn mit Tränen und Flüchen, wahrscheinlich mit ihrer offensiven Oberflächlichkeit. Nichts von dem, was er ist und über den Erotik-Klassiker als Weltliteratur sagt, beeindruckt sie; sie hält „Venus im Pelz“ nur für einen SM-Porno! Doch sie heißt Wanda, wie die Hauptfigur im Stück, die sie spielen soll, und sie arrangiert geschickt das Licht auf der Bühne.
Offizieller Filmtrailer
Verwandlung in undurchsichtige Teure
Sie streift über ihre Fetisch-Kluft samt Nietenhalsband ein elegantes Kleid aus dem 19. Jahrhundert, fängt an zu deklamieren – und ist Wanda von Dunajew. Auch der Kino-Zuschauer ist überrascht, wie vollkommen sich Emmanuelle Seigner in Sekunden aus einer billigen in eine teure Frau verwandelt. Oder eher: aus einer undurchsichtig billigen in eine undurchsichtig teure.
Denn wer ist sie? Ihr mitgebrachter Lebenslauf: ein Wisch. Ihre Behauptung, den Text eben in der U-Bahn quer gelesen zu haben: ein Witz. Sie beherrscht ihren Part perfekt, solange sie in ihrer Rolle bleibt. Unter ihrer Regie verwandelt sich auch Dramatiker Thomas selbst von einem Stichwortgeber zu einer Figur von Sacher-Masoch.
Venus als allwissende Therapeutin
Zu Severin von Kusiemski: Im Roman verehrt er seit seiner Kindheit eine in Träumen visionierte und darum in Pelz gehüllte Venus, findet sie in Wanda von Dunajew wieder, unterwirft sich ihr und wird von ihr als Sklave namens Gregor angenommen. Schauspielerin Wanda lässt keinen Zweifel daran, dass sie auch vom Autor und Regisseur, der jetzt an ihrer Seite den Severin spielt, nichts als seine Sehnsüchte übrig lassen wird – nur den Sklaven namens Thomas.
In einem Spiel im Spiel sagt sie ihm als Therapeutin Dinge über sich, die niemand außer er selbst wissen kann. Mit Brille, Jackett und elegant bestrumpft erzählt sie die Tragikomödie seines Lebens: eine ganz eigene Bravourleistung – und ihre vorgebliche Erklärung wird völlig unglaubwürdig. Auch als sie sich als Privatdetektivin ausgibt, läuft das ins Leere.
Allmacht der Frau, Ohnmacht des Sklaven
Was die Schauspielerin vorführt, übersteigt alles, was eine geübte Stalkerin vorausberechnen könnte. Sie kann Wanda und kennt Thomas ebenso in- und auswendig wie die Vorlage von Sacher-Masoch und deren Bezug auf die griechische Mythologie. Selbst ihre große Reisetasche mit Talmi-Besatz hat sich in ein Requisiten-Füllhorn verwandelt, mit dem sie Thomas perfekt ausstaffiert.
Soll man vom schweren Atem des Mannes erzählen? Von seinem Zittern in ihrem Nacken, über ihrem duftenden Dekolleté, zu ihren Füßen und Beinen, über die er ihr oberschenkellange Stiefel zieht? Vom seiner gebrochenen Stimme, als er seiner Frau endgültig absagt, wie ihm Wanda gebietet, und sie danach mit seinem Mobiltelefon jeden Kontakt zur Außenwelt abbricht? Soll man von der Allmacht der Frau und der Ohnmacht ihres Sklaven erzählen? Nein: Das schmähliche Ende ist absehbar.
Geschöpf und zugleich Herrin sein
Doch die Frage, wer diese Frau eigentlich ist, wird immer rätselhafter und nie beantwortet. Schauspielerin, Therapeutin, Detektivin, Wanda, Venus und Mänade: Die Frau als Projektionsfläche lässt am Ende alle Identitäten schillern. Sie ist, was er in ihr sucht, zu seinem Glück und Unglück. Sie bleibt sein Geschöpf und zugleich seine Herrin. Der Sexismus wird erfüllt, und ad absurdum geführt. Nichts bleibt zu wünschen übrig – wie in einer richtigen Komödie.
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit
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Machtspiel in eigener Parodie eingebettet
Sie bringen mühelos im fliegenden Wechsel fünf oder sechs Figuren auf die Bühne; voller Ironie und Sarkasmus und zugleich entschlossen, sich allem rückhaltlos auszuliefern, was da kommen möge. Emmanuelle Seigner wechselt atemberaubend souverän die Charaktere; Mathieu Amalric gibt dagegen jede Souveränität auf und zahlt den Preis für seine Angstlust am eigenen Untergang.
Dieses erotische Machtspiel bettet Regisseur Polanski gleichsam in seine eigene Parodie ein und gibt sie seinen irisierenden Schauspielern selbst in die Hand, wobei er den ganzen Mummenschanz völlig ernst meint. Er zieht nicht nur Thomas, der ihm verdächtig ähnlich sieht, die Maske des distanzierten Autors vom leidenden Gesicht.
Virtuoses Spiel mit dem Feuer
Polanski kommentierte auch selbst, die sexistische Seite der Vorlage habe für ihn „etwas sehr Anziehendes“ gehabt: Den Macho zu demontieren, machte ihm Spaß, „ganz gleich, was die Menschen von mir denken oder wissen“. Das ist ein virtuoses Spiel mit dem Feuer. Hier sind Ironie und Pathos immer nur einen Rollenwechsel entfernt; im besten Falle schlägt die eine in das andere um.