
„Die Münchner sind es doch nicht wert“, befand der 1880 in München geborene Franz Marc: 1908 siedelte er mit seiner späteren dritten Frau Maria nach Sindelsdorf nahe des Klosters Benediktbeuren über. Seiner Abneigung gegen die Ablenkungen und Ausschweifungen des Stadtlebens lag an einer gewissen Zivilisationsmüdigkeit.
Info
1913: Bilder vor der Apokalypse
13.10.2013 - 19.01.2014
täglich außer montags
10 bis 17 Uhr
im Franz Marc Museum, Franz-Marc-Park 8-10, Kochel am See
Katalog 29,80 €
Ein Jahr wie jedes andere
Am Vorabend des Ersten Weltkrieges lagen Avantgarde und Revolution gleichermaßen in der Luft. Die Spannungen dieser Zeit werden in der Kunst sichtbar und spürbar. Doch ahnten die Künstler tatsächlich den Weltenbrand voraus? Für sein Erfolgsbuch „1913: Der Sommer des Jahrhunderts“ hat Florian Illies, zuvor Herausgeber der Kunst-Zeitschrift „Monopol“ und Edelfeder diverser Feuilletons, umfassend recherchiert.
Mit genauem Blick erzählt er in lakonischem Tonfall die Ereignisse im „Vorkriegsjahr“ am Beispiel bekannter Persönlichkeiten aus Kunst, Literatur, Musik, Politik und Wissenschaft. Dabei überlässt er dem Leser, darin lauter Vorbotschaften der heraufziehenden Katastrophe zu entdecken oder 1913 einfach für ein Jahr wie jedes andere zu halten – wozu Illies neigt.
Mona Lisa aufgetaucht, Nofretete ausgegraben
Auch die Ausstellung im Franz-Marc-Museum in Kochel unweit von Marcs letztem Wohnort bläst nicht laut ins Weltuntergangs-Horn, sondern zeigt, wie es am Vorabend des Krieges aussah, anhand von sehr heterogenen Kunstwerken aus den Jahren 1911 bis 1913: In fünf Abschnitten bebildert die Schau gleichsam Illies’ Buch.
Natürlich darf man nicht reine Illustrationen erwarten: etwa die Mona Lisa, die 1913 wieder aufgetaucht war; die Büste der Nofretete, die im selben Jahr ausgegraben wurde, oder die im Buch beschriebenen Meisterwerke von Schiele oder Kokoschka. Doch das Museum besitzt einiges Aussagekräftiges; private Leihgaben runden das Zeit-Panorama ab. Zwar sind wenige dieser Werke zwingend, viele dennoch sehr passend. Nur Beckmann fehlt ganz.
Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen
Gleich der Auftakt „Bilder vor der Apokalypse“ bietet die so oft zitierte Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen: Da finden sich Ludwig Meidners typisch düster-windschiefe Städte-Landschaften, die wie Aufzeichnungen bedrohlicher Vorbeben wirken. Was aber mehr über den Gemütszustand Meidners aussagt als über ein allumfassendes infernalisches Dräuen.
Auch Kokoschkas „Alpenlandschaft bei Mürren“ ist keinesfalls paradiesisch, ebenso Marcs Aquarell-Studie für sein berühmtes, ‚apokalyptisches‘ Gemälde „Das arme Land Tirol“. Erich Heckels „Kinderspielplatz“ sieht wie eine umzäunte Blase im Wald aus; sie wird von wichtelartigen Wesen bevölkert, die märchenhaft unheimlich erscheinen. Hier findet man allerdings auch August Mackes idyllische Szene „Vor dem Hutladen“; diese Fassung wirkt friedvoller Stimmung als das gleichnamige Bild im Münchener Lenbachhaus.
Kein Raunen für allgemeine Mobilmachung
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Wien – Berlin: Kunst zweier Metropolen von Schiele bis Grosz" - großartige Ausstellung mit Werken von Egon Schiele in der Berlinischen Galerie, Berlin
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Der Sturm – Zentrum der Avantgarde" - mit Werken von Oskar Kokoschka + Franz Marc im Von der Heydt-Museum, Wuppertal
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Im Licht von Amarna – 100 Jahre Fund der Nofretete" zur Ausgrabung der antiken Büste im Neuen Museum, Berlin.
Ein Raum ist Künstler-Korrespondenzen gewidmet, etwa Else Lasker-Schülers Postkarten, die sie als ihr alter ego „Prinz Jussuf“ verschickte; interessant, aber wenig repräsentativ. In der Abteilung „Stadt und Land“ offenbaren Bilder einerseits von Heckel, andererseits von Franz Marc unterschiedlichen Temperamente: rauen Berliner Charme und alpenländisches Glühen.
Blauer Reiter war kein Apokalyptiker
Am Ende der Ausstellung tröpfelt die Erkenntnis: Es ist gar nicht nötig, Unheilschwangeres in der Rückschau als visionär zu deuten, denn es ist immer vorhanden. Auch wenn Franz Marc leidende und sterbende Tiere malte und August Macke unfassbar schöne, von Licht durchflutete Momente festhielt, ehe er nach nur zweieinhalb Monaten an der Front starb.
Die Wirklichkeit ist bitter. Aber der Blaue Reiter war kein apokalyptischer Reiter. Die Kunst sieht und zeigt viel, sie geschieht durch erhöhte Sensibilität; hellsehen kann sie nicht.