Berlin + Pirmasens

Arte Postale – Bilderbriefe, Künstlerpostkarten, Mail Art

Daniel Spoerri: Marienplatz und Frauenkirche, 1972; Postkarte der Edition Staeck, Offsetdruck, 10,5 x 14,8 cm. Fotoquelle: AdK
Schreib mal wieder! Künstler verzieren Post gern mit Bildern, Skizzen und Collagen. Die Akademie der Künste breitet 700 Briefe und Postkarten aus: ein Sammelsurium ganz nach dem Geschmack von Akademie-Präsident und Postkarten-Verleger Klaus Staeck.

Was ist noch liebevoll gestaltete Postsendung, was schon Kunstwerk? Zur Betrachtung dieser Frage hat die Akademie der Künste in Berlin genug Material. In ihrem Archiv lagern etliche Künstler-Nachlässe und Korrespondenzen aus mehr als 100 Jahren: mit unzähligen Briefen und Postkarten von Künstlern, die sie mit allerlei Bildern ausgeschmückt haben. Normalerweise bekommen nur Forscher sie zu Gesicht; nun werden sie erstmals ausgestellt. 2014 wandert die leicht veränderte Schau in das Forum Alte Post in Pirmasens.

 

Info

 

Arte Postale –
Bilderbriefe,
Künstlerpostkarten,
Mail Art

 

30.08.2013 - 08.12.2013

täglich außer montags

11 bis 19 Uhr

in der Akademie der Künste, Pariser Platz 4, Berlin

 

Weitere Informationen

 

18.05.2014 - 03.08.2014

täglich außer montags 11 bis 18 Uhr im Forum Alte Post, Poststraße 2, Pirmasens

 

Weitere Informationen

 

Mehr als 700 Exponate liegen in langen Vitrinen dicht an dicht unter Glas. Man muss viel Zeit und Geduld mitbringen, um mehr als ein buntes Flimmern wahrzunehmen, zumal viele Zeilen schwer zu entziffern sind. Dann erhält man Einblicke in den Alltag berühmter Künstler.

 

Ein Hauch von Indiskretion

 

Max Pechstein illustrierte Nachrichten aus seinem Ostsee-Urlaubsort mit kleinen Skizzen. George Grosz collagierte und übermalte Postkarten, die er an Freunde schickte. Lyonel Feininger benutzte originale Holzschnitte für Briefe, und Else Lasker-Schüler garnierte sie mit Zeichnungen ihres alter ego „Prinz Jussuf von Theben“.

 

Es ist, als stöbere man in Tagebüchern fremder Leute. Vieles wirkt flüchtig hingeworfen, anderes überrascht durch aufwändige Machart, manche bekannte künstlerische Handschrift findet sich im kleinen Format wieder, doch alles umweht ein Hauch von Indiskretion: Schließlich waren diese Mitteilungen einst nur für den Empfänger bestimmt.

Interview mit Akademie-Präsident Klaus Staeck + Impressionen der Ausstellung; © Mythos Olympia


 

Weder Jury noch Gebühr oder Rücksendung

 

Anders verhält es sich mit Mail Art, die in den 1960/70er Jahren entstand: Wie Fluxus oder Land Art suchte sie nach einer neuen, nicht marktgängigen Kunstpraxis jenseits des kommerziellen Galeriebetriebs. Als Begründer gilt Ray Johnson, der 1962 die „New York Correspondance School“ gründete und für dieses informelle Netzwerk die Spielregeln festlegte: no jury – no fee – no return.

 

Ein Mail Artist gibt ein Thema vor und lädt per Post zur Teilnahme ein. Er schickt die Einsendungen nicht zurück; üblicherweise dokumentiert er die Resonanz und organisiert im besten Fall eine Ausstellung. Diese halböffentliche Ausdrucksform war besonders attraktiv für Künstler in den Diktaturen des Ostblocks oder Lateinamerikas: Sie konnten Ideen und Thesen darstellen, die ansonsten von der Zensur unterdrückt wurden.

 

Diktaturen beschlagnahmten Mail Art

 

Was nicht bedeutet, dass ihr Treiben unbemerkt blieb. Viele Postsendungen wurden vom Geheimdienst geöffnet, geschwärzt oder beschlagnahmt; zuweilen hatte das für Absender oder Empfänger böse Folgen. Das zeigt die Mail-Art-Kollektion des Exil-Chilenen Guillermo Deisler (1940-1995), der nach Pinochets Putsch 1973 in Bulgarien und ab 1986 in Halle/Saale lebte.

 

Deisler hat rund 5000 Einzelstücke aus 55 Ländern gesammelt und der Akademie vermacht. Alle Aufreger-Themen dieser politisierten Jahrzehnte sind hier zu finden: Proteste gegen Willkür und Aufrufe zum Umsturz, häufig im plakativen Agitprop-Stil der Zeit. Aber auch originelle Bilderfindungen und fantasievoller Nonsense, häufig in witzige Wortspiele verpackt.

 

Beuys-Postkarten aus Holz + Filz

 

Eine ähnliche Sammlung besitzt Akademie-Präsident Klaus Staeck, damals einer der umtriebigsten Polit-Künstler in Westdeutschland. Er gründete 1965 einen Postkarten-Verlag; wenig später kam Joseph Beuys dazu. Der testete gerne die Toleranz der Bundespost, indem er „Postkarten“ aus Holzplatten, Filz oder magnetischem Blech verschickte. Andere warfen sogar in Plastik eingeschweißte Käsestücke oder Wurstscheiben in den Briefkasten. Sofern das Porto stimmte, wurde alles zugestellt.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier einen Bericht über die "Berlin Art Week 2013"  - zu den Kunstmessen abc art berlin contemporary + Preview Berlin Art Fair in Berlin

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Böse Dinge" mit postalisch verschickten Design-Produkten im Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg.

 

Die „Edition Staeck“ beschränkte sich meist auf schlichte Papp-Postkarten und Plakate. Dafür waren die Motive umso bunter, oft mit sarkastischen oder kalauernden Kommentaren zum Zeitgeist versehen. Manche Objekte sind heute Klassiker, etwa die Warnung „Vorsicht Kunst!“ unter dem Piktogramm für Sprengstoff-Explosionen; andere nur noch mit Erläuterung verständlich. Der Ausstellungs-Shop bietet mehr als 100 Motive an, die man nach Gusto bestempeln kann.

 

Mitmach-Kunst für jedermann

 

Daneben hängen Einsendungen aus 38 Ländern an der Wand: Antworten auf eine aktuelle Mail-Art-Aktion zum Thema „Academy/ Akademie“ aus Anlass dieser Schau. Erstaunlich und verwirrend, was dazu Absendern aus der halben Welt einfällt – wobei der Bezug zur Vorgabe häufig unklar bleibt: Bei den Meisten überwiegt offenbar Freude an der Selbstdarstellung.

 

Mit Pinsel, Schere und Klebstoff: Mail Art ist Bastel-Arbeit, die nur wenige Hilfsmittel erfordert. Es kommt mehr auf die zündende Idee als sorgfältige Ausführung an; Amateure und Dilettanten sind genauso zugelassen wie arrivierte Künstler.

 

Wie Marmelade + Strickwerk

 

Das dürfte dieser Mitmach-Kunst ihr Überleben im Zeitalter von Digitalisierung und Email-Flut sichern: Auch selbst gekochte Marmelade und Strickwerk stehen wieder hoch im Kurs. Ob man die Ergebnisse öffentlich ausstellen sollte, scheint allerdings fraglich: Briefmarken-Alben blättert man auch lieber zuhause auf dem Sofa durch.