Man kennt solche Geschichten: Grimmiger Greis, enttäuscht und abgesondert von aller Welt, kehrt dank der Liebe eines Kindes zu ihr zurück. Oder: Alter Künstler findet durch eine junge, reine Seele wieder zur Inspiration. Oder: Menschenfeindlicher Stiesel erliegt absichtsloser Verführungskraft. Fernando Truebas jüngster Film erzählt kaum mehr.
Info
Das Mädchen und der Künstler
Regie: Fernando Trueba
105 Min., Spanien 2012
mit: Jean Rochefort, Aida Folch, Claudia Cardinale
Im Versteck Modell sitzen
Im Sommer 1943 entdeckt Léa (Claudia Cardinale), die großartige Partnerin des alten Künstlers, eine junge spanische Widerstandskämpferin Mercé (Aida Folch) auf der Flucht und nimmt sie auf. Während sie auf dem Land in seinem Atelier wohnt und für ihn Modell sitzt, bringt sie einen Jungen und einen verletzten Mann über die grüne Grenze.
Offizieller Filmtrailer
Deutscher Offizier schreibt Künstler-Bio
Irgendwann taucht ein deutscher Wehrmachts-Offizier (Götz Otto) auf und entpuppt sich als Kunstwissenschaftler – er ist mit Cros befreundet und arbeitet seit Jahren an seiner Biographie. Derweil spricht Cros so rücksichtslos und absolut über Schönheit, wie es mancher auch heute noch gern täte.
Wer also gern Geschichten über Zeitgeschichte sieht, wird durchaus bedient – wenn auch mit allzu Vertrautem und eigentlich Verbrauchtem. Doch action und Dynamik sind im Schwarzweiß-Porträt eines lupenreinen Ästheten ebenso wenig zu erwarten wie politische Aussagen in einer Meditation über edle Einfalt und stille Größe.
Wunder des Lebens aus Erstarrung
Worauf es hier ankommt, ist etwas sehr Einfaches: wie im fast schon Erstarrten noch einmal sich Leben regt und dann Kunst entsteht. Anfangs wirkt Cros‘ ausdrucksloses, bartverhangenes Gesicht so, als könne sich hier niemals wieder etwas bewegen. Tonlos und beiläufig erteilt er der nackten Mercé Befehle; da ist keinerlei Empfänglichkeit spürbar.
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit
Lesen Sie hier eine Besprechung des Films “Chico & Rita” – jazzige Animations-Love-Story von Fernando Trueba + Javier Mariscal
und hier einen Beitrag über den Film "Blancanieves - Ein Märchen in Schwarz und Weiß" - Stummfilm-Adaption von Schneewittchen in Spanien durch Pablo Berger
und hier einen Bericht über den Film "Renoir" – Porträt des Malers Auguste Renoir, seines letzten Modells und seines Sohns, Regisseur Jean Renoir, von Gilles Bourdos.
Keiner kann Inspiration zwingen
Mitgefühl stellt sich ein, als er nach abgebrochener Sitzung und unruhiger Nacht am Bett seines noch schlaftrunkenen Modells Platz nimmt und seine Hand mit schwerem Atem über ihren Leib gleiten lässt. Inspiration kann erst kommen, wenn die Empfänglichkeit wiederhergestellt ist. Niemand kann sie zwingen, doch irgendwann ist es soweit.
Die Schauplätze, an denen dieses Kammerspiel abläuft, sind teilweise ebenso konventionell wie das gesamte setting. So sitzt der faunische Künstler irgendwann am Ufer eines lauschig umrankten Weihers, vielleicht einer Quelle, und malt seine Nymphe zwischen Seerosen.
Lust siegt über Arbeit
Doch wie in diesem romantisch toten Weiher-Bild plötzlich das Mädchen anarchisch herumalbert, so setzt sich im ganzen Film immer wieder die Kunst gegen den Krieg, die Lust gegen die Arbeit und die Innovation gegen die Konvention durch. Was der Film vorführt, ist nicht mehr oder weniger als die Geburt einer kreativen Idee. Nicht anderes hat sich Regisseur Trueba vorgenommen, und genau das erreicht er.