Zuviel Kunst kann krank machen: „Ich befand mich bei dem Gedanken, in Florenz zu sein, und durch die Nähe der großen Männer, deren Gräber ich gesehen hatte, in einer Art Extase“, notierte 1816 der französische Schriftsteller Henri Beyle, genannt Stendhal: „Als ich Santa Croce verließ, hatte ich starkes Herzklopfen; ich war bis zum Äußersten erschöpft und fürchtete umzufallen.“
Info
Florenz!
Villa Romana 1905 - 2013: Das Künstlerhaus in Florenz
22.11.2013 - 09.03.2014
täglich außer montags
10 bis 19 Uhr, dienstags und mittwochs bis 21 Uhr
in der Bundeskunsthalle, Friedrich-Ebert-Allee 4, Bonn
Katalog 35 €
Alle Genies in einer Ausstellung
Vorsichtig auf einen Besuch vorbereiten kann man sich nun in der Bundeskunsthalle: Sie breitet die gesamte Kulturgeschichte der Stadt vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert aus. Ein so löbliches wie vermessenes Unterfangen: Wie will man den Ort, an dem Dante, Boccaccio, Giotto, Botticelli, Leonardo, Michelangelo, Galilei, Vasari und zahllose weitere Genies der Kunst- und Wissenschaftsgeschichte wirkten, in eine einzige Ausstellung packen?
Interview mit Kurator Gerhard Wolf + Impressionen der Ausstellung
Banken-Boom im Hochmittelalter
„Wenn man vollends die Gebäude betrachtet, so ist die ganze Stadt nur eine große Kunstsammlung“, stellte Jacob Burckhardt 1838 als angehender Kunsthistoriker fest. Da heißt es auswählen: Die 350 gezeigten Exponate können diverse Aspekte ihrer Entwicklung nur antippen – manche besser, andere weniger. Denn die wichtigsten entziehen sich einer anschaulichen Darstellung.
Der „Feinheit der florentinischen Luft“ schrieb Giorgio Vasari, Erbauer der Uffizien und Begründer der Kunstgeschichte, den phänomenalen Aufschwung seiner Heimatstadt zu. Heutige Historiker sind da nüchterner. Als Florenz Mitte des 12. Jahrhundert unabhängige Stadtrepublik wird, setzt es erfolgreich auf die Boom-Branchen des Hochmittelalters: Textilherstellung, Großhandel und Bankenwesen.
Erster moderner Staat der Welt
Das macht die Stadt nicht nur reich, sondern auch klug. Hier konzentriert sich das Wissen der Epoche, und es bleibt nicht auf wenige beschränkt. Anfang des 14. Jahrhunderts lernen mehr als 8000 Kinder Lesen und Schreiben; das entspricht rund zehn Prozent aller Einwohner. Etwa 1000 Jungen werden in schriftlichen Rechentechniken und damit als Kaufleute ausgebildet; daher dominieren Florentiner den europäischen Fernhandel.
Ihre Kaufmanns-Tugenden wie Rationalität, Flexibilität und Selbstreflexion lassen Florenz laut Burckhardt zum „ersten modernen Staat der Welt“ werden. Und das trotz anhaltender innerer Spannungen: Während mit Dom, Campanile und Palazzo Vecchio weltberühmte Prunkbauten entstehen, die das historische Zentrum bis heute prägen, sind die tonangebenden Patrizier-Clans ständig in Rivalitäten und Fehden verstrickt.
Leben als permanenter Geltungs-Wettbewerb
Was letztlich zur Blüte der Stadt beiträgt: Auf dem Erreichten kann sich keiner ausruhen, will er den Kopf über Wasser halten. Leben in Florenz ist ein permanenter Geltungs-Wettbewerb. Der andauernde Ausnahmezustand ändert sich erst 1434: Cosimo Medici d. Ä. sichert seiner Familie die Macht, die sie mit zwei kurzen Unterbrechungen 300 Jahre lang behalten wird. Sein Enkel Lorenzo der Prächtige beginnt mit der verschwenderischen Förderung der Künste: Florenz verwandelt sich in eine Schatzkammer.
Ein Jahrhundert später werden die Medicis zu Herzögen der Toskana erhoben; niemand feiert so prächtige Feste wie sie. Als die Familie 1737 ausstirbt und ihr Besitz an die Habsburger fällt, verfügt die letzte lebende Medici-Erbin, dass alle Kunstschätze in der Stadt verbleiben sollen. Ende des 18. Jahrhunderts macht Großherzog Peter Leopold die Toskana zum aufgeklärten Modellstaat: Er schafft Folter und Todesstrafe ab, beschneidet die Macht der Kirche und setzt Wirtschaftsreformen durch.
Pseudo-Renaissance in Botticelli-Kostümen
Doch es ist der kulturelle Glanz von Florenz, der schon im 19. Jahrhundert scharenweise Ausländer anlockt. Während die Stadtmauern abgerissen und neue Viertel angelegt werden, lassen sich vor allem Angelsachsen hier nieder: Sie feiern gern Pseudo-Renaissancefeste, bei denen Damen in Botticelli-Kostümen auftreten. Als Vorboten der jährlich rund zehn Millionen Touristen, die heutzutage die Stadt heimsuchen.