Berlin

Auf den Spuren der Irokesen

Kenneth Maracle: Father and Son (Detail), 2007, Acryl auf Leinwand. Foto: ohe
Indianer ohne Winnetou: Die Irokesen in Nordost-Amerika lebten in Langhäusern aus Holz und hielten Verträge mit Perlenschnüren fest. Ihr einzigartiges Stämme-Bündnis bescherte ihnen Frieden; diese unbekannte Kultur stellt der Martin-Gropius-Bau vor.

In Kriegen auf der Verlierer-Seite

 

Das änderte sich im Lauf des 18. Jahrhunderts. Im Siebenjährigen Krieg (1756-1763) kämpften die Seneca auf Seiten der Franzosen und unterlagen mit ihnen: Paris verlor seine Besitzungen in Nordamerika. Ähnliches geschah im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. Vier Stämme unter dem Mohawk-Häuptling Joseph Brant zogen als Verbündete der Briten ins Gefecht und wurden mit ihnen geschlagen; Brant und Gefolge flohen nach Kanada.

 

Dennoch lief das Verhältnis zwischen Europäern und Indianern keinesfalls auf deren unaufhaltsamen Niedergang hinaus. Im Gegenteil: Drei Jahrhunderte lang wurden die Irokesen von den Eindringlingen als Handelspartner und regionale Machthaber geachtet und gefürchtet. Sie kontrollierten ein strategisch wichtiges Gebiet; wer ins Landesinnere vordringen wollte – ob als Pelzhändler oder Siedler – musste sich mit ihnen arrangieren.

 

„Lilie der Mohawk“ 2012 heilig gesprochen

 

Die teils tragischen, teils kuriosen Aspekte dieser Beziehung breitet die Ausstellung in vielen Facetten aus. So wurden vier Indianer 1710 als „Könige von Kanada“ in London von Queen Anne empfangen, wo sie um Hilfe gegen französische Kolonialtruppen baten. Zu diesem Anlass ließ der britische Hof von ihnen Ölporträts anfertigen. Sie zeigen die Gesandten in konventioneller europäischer Herrscher-Pose mit Kugelkopf-Keule und Tomahawk, ihren üblichen Waffen, sowie aufwändiger Ganzkörper-Tätowierung.

 

Für die christliche Heilsbotschaft waren die Irokesen anfangs recht unempfänglich. Mit einer Ausnahme: Häuptlings-Tochter Kateri Tekakwitha konvertierte zum Katholizismus, zog 1677 in eine Jesuitenmission, legte zwei Jahre danach ein Keuschheitsgelübde ab und starb kurz darauf mit nur 34 Jahren. Rom dankte es ihr erst nach 300 Jahren: Die „Lilie der Mohawk“ wurde 1980 selig und 2012 heilig gesprochen – Devotionalien, die ihrer gedenken, gibt es für jeden Geschmack.

 

Perlen-Gurte speichern Ereignisse im Muster

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Die Macht des Schenkens" über Potlatch-Rituale der Kwakwaka’wakw-Indianer an Kanadas Nordwestküste in der Kunsthalle im Lipsiusbau, Dresden

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung “Das göttliche Herz der Dinge” mit altamerikanischer Kunst aus der Sammlung Ludwig im Rautenstrauch-Joest-Museum Köln

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung “Kallawaya Heilkunst in den Anden” über Magie + Schamanismus im Grassi-Museum Leipzig.

 

Ohnehin greift die Schau in großem Umfang auf spätere Darstellungen zurück. Traditionell kannten die Irokesen weder Schrift noch Bilder; kreative Energie floss in Schnitzereien, Töpferware, Flechtwerk und aufwändige Stickereien. Hiawatha, Mitgründer der Irokesen-Liga, erfand Perlen aus Muschelschalen (wampum), die man zu langen Bändern auffädelte. Solche wampum-Gurte erinnern an wichtige Ereignisse, die in der Symbolik der Musterung gleichsam gespeichert sind: Damit wurden etwa Verträge festgehalten.

 

Sobald die Europäer massenhaft billige Glasperlen lieferten, erlebten Flecht- und Stickkunst einen Aufschwung; bis heute machen sie den größten Teil des Kunsthandwerks aus. Zudem haben sich die Indianer nach langer Stagnation neue Betätigungsfelder erobert. Sie sind schwindelfrei und arbeiten oft im Hochbau, etwa von Brücken und Wolkenkratzern. Da ihre Reservate steuerbefreit sind, gibt es dort vieles billiger, was alle US-Amerikaner brauchen: Sprit, Zigaretten und Spielcasinos.

 

Haudenosaunee-Pass an Grenzkontrolle

 

Was manche Irokesen kritisch sehen: Zu den eindrucksvollsten Exponaten der Ausstellung zählt eine kluge Auswahl zeitgenössischer Kunstwerke. Sie veranschaulichen oder kommentieren Elemente der irokesischen Kultur: vom Schöpfungsmythos und seit jeher geschätzten Feldfrüchten bis zum Lebenserwerb auf Großbaustellen und am Roulettetisch.

 

Oder sie träumen von einer unabhängigen Zukunft: wie Carla Hemlock, die einen Haudenosaunee-Pass als Quilt genäht hat. Doch damit kommt man nur schlecht durch Grenzkontrollen – so groß ist die Liebe zu Indianern nun auch wieder nicht.