
Es ist eine besondere Auszeichnung, wenn ein Personenname durch Anhängen der Nachsilbe „-esk“ zum Attribut aufgewertet wird. Franz Kafka hat es mit seiner Erzählung „Die Verwandlung“ vorgemacht: Seit Gregor Samsas Erlebnis, der eines Morgens aus unruhigen Träumen als riesiger Käfer erwacht, nennt man sehr verstörende Situationen kafkaesk.
Info
Das erstaunliche Leben des Walter Mitty
Regie: Ben Stiller
114 Min., USA 2013
mit: Ben Stiller, Kristen Wiig, Shirley McLaine, Sean Penn
Negative im „Life“-Archiv sortieren
Den Walter Mitty zu spielen, ist für Ben Stiller sichtlich ein Vergnügen. Als eher introvertierter, schüchterner Typ mit Schwierigkeiten, eine Frau kennen zu lernen, geht dieser Mitty im spießigen, hellgrauen Blouson tagein, tagaus ins Büro des Magazins „Life“, um im Fotoarchiv Negative zu sortieren.
Offizieller Filmtrailer
Regisseur will zu viel gleichzeitig
In seiner Fantasie zieht er jedoch gleich mit seinen Kollegen, den Kriegsreportern und Naturfilmern, und übertrifft sie sogar. Dabei sieht sich Mitty mal als unkaputtbarer Superheld, mal als selbstloser Retter in der Not oder als feuriger Liebhaber. Im wirklichen Leben wird seine Fähigkeit, träumerisch der Realität zu entfliehen, bald auf die Probe gestellt.
Thurbers Kurzgeschichte wurde bereits 1947 verfilmt. Stiller, der auch Regie führt, übernimmt in seiner Neuverfilmung eigentlich nur den Protagonisten und macht ihn zum Spielball einer Komödie, die rasant zwischen Fantasy und Drama hin- und herwechselt. Leider will der Regisseur zu viel gleichzeitig; er hat dabei Mühe, die verschiedenen Themen und Genres zu einem dramaturgischen Ganzen zu verbinden.
Untergang der legendären Illustrierten
Der Film soll nämlich nicht nur erzählen, wie Mitty dank seiner Fantasie auch in der Wirklichkeit zur starken Persönlichkeit heranreift, sondern zugleich, wie das Zeitalter der klassischen Printmedien zugrunde geht. Die legendäre US-Illustrierte „Life“, die Amerikas Blick auf die Welt (und umgekehrt) geprägt hat, ist gerade verkauft worden und wird in ein Online-Magazin umgewandelt.
Ein Übergangsmanager (Adam Scott) entlässt die Hälfte der Belegschaft, schikaniert die Übrigen und insbesondere Mitty: Er soll für das Cover der letzten Print-Ausgabe ein Foto des Life-Starfotografen (Sean Penn) besorgen. Doch das Negativ dieses Bildes, „das alles erklären soll“, ist einfach nicht auffindbar.
Herrlich selbstironisches Ensemble
Anstatt in seine Traumwelt flüchten zu können, muss Mitty nun sein heimisches New York verlassen und in den Außendienst, um Negativ Nummer 25 aufzuspüren. Und dann ist da noch die neue Kollegin Cheryl (Kristen Wiig), in die er sich verliebt hat, aber nicht weiß, wie er bei ihr landen soll.
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit
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Desinteresse an Digital-Journalismus
Shirley MacLaine brilliert als gütige Mutter, die schließlich alles zum Happy End fügt. Auch die Kristen Wiig empfiehlt sich charmant als Mittys Romanze. Adam Scott füllt die überzeichnete Figur des new economy-Kapitalisten bestens, und Ben Stiller kann zeigen, wie gut er noch das Skateboard beherrscht.
Das Abdriften in fantastische Dimensionen kostet Stiller als Schauspieler wie als Regisseur mit skurrilem bis surrealem Humor aus. Doch die Rahmenhandlung hätte mehr satirisches Engagement gebrauchen können: In der gegenwärtigen Medienkrise sind sowohl Realitätssinn als auch Fantasie für neue Wege gefragt.
Doch mit der Frage, wie altehrwürdiger Qualitäts-Journalismus in der digitalen Revolution überleben kann, will sich der Film nicht auseinandersetzen. Das Magazin „Life“ ist übrigens schon im Jahr 2000 eingestellt worden. Und es wäre wohl mehr als mittyesque, zu glauben, in den nächsten Jahren würden ihm nicht noch viele weitere klassische Print-Titel folgen.