Marco Wilms

Art War

Wandbilder der Mutter des getöteten "Revolutions-Märtyrers" Ammar Abdu Mahmoud in der Mohamed Mahmoud Straße. Foto: Missing Films
(Kinostart: 23.1.) Make art, not war: Regisseur Marco Wilms begleitet Street Artists in Kairo, die Mauern mit provokanten Agitprop-Bildern bemalen. Geistreich, gewitzt und ästhetisch gewagt – doch ihre wirkliche Rolle in Ägyptens Wirren bleibt unklar.

Kunst ist nur noch folgenloser Zeitvertreib für gelangweilte Bürgerkinder oder Gelddruck-Maschine für gerissene Galeristen? Von wegen: In Ägypten kann man für ein Wandbild in den Knast kommen; samt Platzwunden und Knochenbrüchen, wenn die Folterknechte besonders hart zuschlagen.

 

Info

 

Art War

 

Regie: Marco Wilms,

90 Min., Ägypten/ Deutschland 2013;

mit: Ganzeer, Hamed Abdel Samad, Ammar Abo Bakr

 

Website zum Film

 

Ammar, Ganzeer und die anderen Mitspieler von „Art War“ machen Kunst mit vollem Körpereinsatz: Sie riskieren Freiheit und Gesundheit, wenn sie die Straßen von Kairo mit Wandbildern pflastern. Wobei sie nicht kleckern, sondern klotzen: Mehr als 100 Meter lange Straßenmauern verwandeln sie in riesige outdoor galleries.

 

Entstellte Gesichter, fünf Meter hoch

 

Dort sprühen sie Köpfe und Parolen des Tages an die Wände: Mal werden Opfer von Straßenschlachten als „Märtyrer“ gewürdigt, mal ihre Hinterbliebenen oder Tote in einem Fußballstadion. Erst in Passfoto-, später in Polizeifoto-Optik: versehrte und entstellte Gesichter in schreiend bunten Farben, fünf Meter hoch – dieser Agitprop ist beeindruckend unübersehbar.


Offizieller Filmtrailer


 

Bei jeder Demo in vorderster Frontlinie

 

Die jungen street artists sind clever, gewitzt und ironisch. Wenn sie einen Polizisten identifizieren, der auf Demonstranten geschossen hat, malen sie sein Konterfei als „Wanted“-Steckbrief. Wollen sie gegen die Muslimbrüder protestieren, sprühen sie ein smiley mit Vollbart neben das Koran-Symbol – und dazwischen ein Ungleichheits-Zeichen. Manche sprechen gut Englisch, andere spielen im singer/songwriter-Stil Politprotest-Lieder.

 

Regisseur und Kameramann Marco Wilms ist ganz nah dran. Er begleitet seine Protagonisten von Anfang 2011 bis Mitte 2013 und scheut mutig keine Gefahr: Bei jeder Demo läuft er vorne mit und hält direkt drauf, wenn Molotow-Cocktails und Tränengas-Granaten fliegen. Solche Fronteinsatz-Atmosphäre geht aber zu Lasten von Überblick aus der Distanz: Wie relevant diese street artists und die „revolutionäre Jugend“ sind, deren Sprachrohr sie sein wollen, bleibt völlig unklar.

 

Wer „Porno Police“ singt, fliegt von der Bühne

 

Wilms ignoriert die übrigen Fraktionen in Ägyptens unübersichtlicher politischer Gemengelage: Kein Vertreter von Militär oder Polizei taucht auf, aus den Reihen der Islamisten nur kurz ein selbst ernannter Filmemacher und bärtige Demonstranten, die groteske Verleumdungen ausspucken.

 

Dagegen begleitet die Dokumentation ausführlich Bosaina, Sängerin einer Electropunk-Band: Sie spricht akzentfrei Amerikanisch, leidet sehr unter ihrem Land und trällert im „Cairo Jazz Club“ Refrains wie „Porno Police“ oder „Satanic Homosexuals“ – bis das Publikum sie von der Bühne jagt. Soeben ist nämlich der Muslimbruder Mursi zum Präsidenten gewählt worden.

 

Hamed Abdel-Samad streunt durch Film

 

Offenkundig schlägt sich Wilms ganz auf die Seite einer säkularen und kosmopolitischen underground culture, die in Kairo nur in winzigen Enklaven existiert. Das wäre akzeptabel, wollte der Regisseur allein ihr kreatives Potential vorstellen und würdigen. Tut er aber nicht: Sein Film ist als Chronik der laufenden revolutionären Wirren angelegt und suggeriert, dabei spielten diese street artists keine unwesentliche Rolle. Was westliches Wunschdenken sein dürfte.

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Nach der Revolution – After the Battle"  - Polit-Drama zum Umbruch in Ägypten von Yousry Nasrallah

 

und hier eine Rezension des Films "Das Mädchen Wadjda"  - erster Film aus Saudi-Arabien über Unterdrückung der Frauen von Haifaa Al Mansour

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung “Cabaret Crusades + Al Araba Al Madfuna”  des Ägypters Wael Shawky auf der documenta 13 in Kassel + in den KunstWerken, Berlin.

 

Ein Protagonist deutet das an. Der deutsch-ägyptische Politologe Hamed Abdel-Samad, der durch seine radikale Kritik am Islam bekannt, von Mordaufrufen bedroht und im November 2013 zwei Tage lang in Kairo entführt wurde, läuft wie ein orientalischer Hans-Christian Ströbele durch den Film: überall engagiert und stets zu Einschätzungen der Lage bereit.

 

God is busy – can I help?

 

Viele überzeugen, etwa: „Diese Revolution ist nur die Eröffnungsszene in einem sehr, sehr langen Theaterstück.“ Oder seine Bemerkung zu randalierenden Straßenkämpfern: „Diese Kids kämpfen nicht mehr für etwas, sondern suchen im Kampf sich selbst.“ Mehr solcher reflektierenden Einsichten würden dem Film gut tun.

 

Abdel-Samad sorgt auch für den eindrucksvollsten Moment. Nach dem Wahlsieg der Muslimbrüder wird er auf der Straße wegen seines Kapuzen-Sweatshirts angepöbelt: Darauf steht: „God is busy – can I help?“ Rasch läuft eine erregte Menge zusammen; es riecht nach Lynchjustiz. Das ist die einzige Szene, in der die feindlichen Gruppen miteinander reden – ansonsten laufen sie stumm aneinander vorbei.

 

Und der Regisseur bleibt stets in seiner hipster community. Dort dreht er in Videoclip-Ästhetik beeindruckende Einstellungen von Sprayern und ihren geistreichen, provokanten und ästhetisch gewagten Motiven. Doch von der Lebensrealität der übrigen 99 Prozent Ägypter ist das so weit entfernt wie der „Kitkat Club“ von Bernau bei Berlin.