Maulwürfe mit Augenklappen: Nicht erst seit dem unrühmlichen Versagen beim NSU-Skandal wird dem Verfassungsschutz eine gewisse Rechts-Blindheit vorgeworfen. Ein besonders Aufsehen erregender Fall ist inzwischen außerhalb Bayerns fast in Vergessenheit geraten: das Attentat auf das Münchner Oktoberfest am 26. September 1980.
Info
Der blinde Fleck – Täter, Attentäter, Einzeltäter?
Regie: Daniel Harrich,
99 Min., Deutschland 2013;
mit: Benno Fürmann, Heiner Lauterbach, Nicolette Krebitz
Reporter schrieb am Drehbuch mit
Der Spielfilm des 30-jährigen Regisseurs Daniel Harrichs rekonstruiert nun die Ereignisse anhand der Recherchen und Erinnerungen von Ulrich Chaussy; der Reporter des Bayerischen Rundfunks (BR) hat am Drehbuch mitgeschrieben. Beide servieren ein historisches Lehrstück.
Offizieller Filmtrailer
Wehrsportgruppe Hoffmann wird 1980 verboten
1980 klingt die Anti-RAF-Hysterie der „bleiernen Zeit“ zwar langsam ab, doch jegliches Interesse an politisch Radikalen erscheint suspekt. So gerät Journalist Chaussy (Benno Fürmann) durch seine Recherchen in der rechtsextremen Szene ins Visier des bayerischen Verfassungsschutzes.
Er wird wegen angeblicher Verbindung zum linken Terror-Szene verhaftet, seine Wohnung durchsucht. Nach einem Verhör legt man Chaussy nahe, sein Augenmerk auf andere Dinge als etwa die „Wehrsportgruppe Hoffmann“ zu legen. Diese seit Mitte der 1970er Jahre aktive, neonazistische Vereinigung wird 1980 verboten.
Neun Tage vor der Bundestagswahl
Allerdings ist Bayerns Oberstaatsschützer Dr. Hans Langemann (Heiner Lauterbach) der Meinung, dass rechtsradikale Gruppen das kleinere Übel sind. Als aber am Abend des 26. September inmitten großen Andrangs auf der Wies’n eine Bombe explodiert und mögliche Täter mit dieser Wehrsportgruppe in Verbindung gebracht werden, wendet sich das Blatt.
„Der blinde Fleck“ rekonstruiert akribisch und chronologisch die Recherchen seines Helden Ulrich Chaussy. Offiziell heißt es, vermutlich steckten Linksextremisten hinter der Tat. Vor der Tür steht die Bundestagswahl am 5. Oktober; Kanzlerkandidat der Union ist Bayerns Ministerpräsident Franz-Josef Strauß.
Student Gundolf Köhler gilt als Einzeltäter
Strauß braucht einen schnellen Erfolg der Ermittler, um sich als law and order-Mann zu profilieren. Rasch wird aber klar, dass die Tat einen rechtsextremen Hintergrund hat. Sie wurde ausgeführt vom Studenten Gundolf Köhler.
Köhler war Mitglied der „Wehrsportgruppe Hoffmann“ und kam beim Attentat selbst ums Leben. Ermittlungen nach möglichen Hintermännern verlaufen im Sande; drei Jahre später wird verkündet, dass der Student allein gehandelt hat.
Weitermachen bis zur Schwangerschaft
Damit will sich der Anwalt vieler Angehörige von Anschlags-Opfern nicht abfinden: Er weist Chaussy auf Ungereimtheiten hin. Der Reporter recherchiert erneut und trifft auf eingeschüchterte Zeugen; manche sind inzwischen tot. Zeugen, die mit ihm sprechen, erinnern sich übereinstimmend an zwei verdächtige Männer am Tatort.
Dann meldet sich ein Unbekannter (August Zirner) und lässt ihm belastendes Material zukommen. Tatsächlich finden sich darin viele „blinde Flecken“, die gegen die Theorie vom Einzeltäter sprechen. Obwohl er mittlerweile von Kollegen verspottet wird und Drohbriefe erhält, macht Chaussy weiter – bis seine Frau ihm eröffnet, sie sei schwanger.
Abgetrennte Hand versehentlich vernichtet
Hoffnung auf neue Erkenntnisse bringt mehr als 20 Jahre später die Einführung eines neuen DNS-Analyseverfahren. Am Tatort wurde eine abgetrennte Hand gefunden, die keinem der Opfer oder Köhler gehörte. Nur wurde dieses Indiz zusammen mit anderen Beweismitteln „versehentlich“ vernichtet.
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit
Lesen Sie hier eine Besprechung des Films “Kriegerin” – ein beeindruckender Einblick in die Neonazi-Szene von David Wnendt
und hier einen Bericht über den Film "Das Wochenende" - subtiles Kammerspiel über ein Ex-RAF-Mitglied von Nina Grosse.
Uninspiriertes TV-Dokudrama
Nüchtern und zäh hangelt sich das Geschehen an den Ereignissen entlang. Die lahme Dramaturgie klammert sich viel zu sehr an die Fakten und verfolgt offensichtlich einen didaktisch-aufklärerischen Anspruch. Manche Szenen spielen einfach brav Interview-Situationen an Original-Schauplätzen nach.
Alte Aufnahmen aus den Archiven öffentlich-rechtlicher Sender verstärken den Eindruck eines uninspirierten TV-Dokudramas, das vor allem auf seine Fernsehauswertung ausgerichtet ist. Darüber helfen auch hochkarätige Schauspieler und die authentische Ausstattung nicht hinweg.
Was hätte Regisseur Harrichs mit mehr Mut und Fantasie aus diesem Stoff machen können! Der bleibt interessant, wird aber leider keine Minute lang spannend inszeniert.