Wieland Speck

Was man dem Publikum zumuten kann

Wieland Speck, Leiter der Sektion Panorama. Foto: © Berlinale
Heute beginnt die 64. Berlinale. Seit einem Vierteljahrhundert leitet Wieland Speck die Sektion Panorama: Im Interview erklärt er, wie man Festival-Kurator wird, und spricht über die spannendsten Entdeckungen im diesjährigen Programm.

Herr Speck, wie haben Sie Ihre Liebe zum Kino entdeckt?

 

Das ging sehr früh los. Meine Tante hatte ein Landgasthaus; dort verbrachte ich immer die Ferien. Im ersten Stock war am Wochenende Kino. Dort habe ich als Sechsjähriger Stühle aufgestellt und vor der Kindervorstellung Karten abgerissen. Erwachsenenfilme, die wir nicht gucken durften, sahen meine Cousine und ich durch einen Schlitz im Getreidespeicher.

 

Wie wird man Sektions-Leiter der Berlinale? 

 

Info

 

64. Berlinale

 

06. – 16.02.2014
in diversen Spielstätten, Berlin

 

Website des Festivals

 

Das ist vollkommen unberechenbar; am ehesten als Quereinsteiger, nachdem man alles Mögliche gemacht hat. Bei uns melden sich junge Leute, die als Kurator arbeiten wollen. Denen sage ich, dass man nicht nach Drehbuch lernen kann, Filter für den Rest der Menschheit zu sein.

 

Hier laufen 3.000 Filme durch, aus denen ich 50 herausfiltere. Dabei vertrete ich 100.000 Menschen, die in zehn Tagen als Berlinale-Publikum kommen. Dafür entwickelt man Intuition, die auf Erfahrung basiert. Am besten baut man sich eine Existenz in dem künstlerischen Bereich auf, für den man sich interessiert, um dann Kurator zu werden.

 

Berlinale-Publikum mag Herausforderungen

 

Welche Ihrer beruflichen Stationen waren prägend für Ihre Kuratoren-Tätigkeit?

 

Ich habe in einem Off-Off-Kino Filme gezeigt, die unser Team toll fand. Das Publikum, das zu uns kam, hat unserer Auswahl vertraut; wir mussten dafür sorgen, dass das so blieb. Man muss eine Intuition dafür entwickeln, was man dem Publikum zumuten kannst.

 

Das Berlinale-Panorama ist erfolgreich, weil es Herausforderungen an die Zuschauer stellt: In Berlin ist das Publikum super, weil es das mag. An anderen Orten muss man spielen, was gefällt. Das hat mich in Berlin gehalten – trotz Angeboten anderer Festivals.

 

Kreativität geht rauf + runter

 

Laugt diese Arbeit nicht irgendwann aus?

 

Jedes Jahr aufs Neue muss man ein neues Programm auf die Beine stellen; da kann es passieren, dass man irgendwann die Intuition verliert. Das sieht man an Reihen, die uns früher wichtig waren, und die es jetzt nicht mehr so sind. Das geht rauf und runter, genau wie es in den einzelnen Filmländern in Sachen Kreativität. Das lässt sich nicht planen oder organisieren.

 

Erste Station in der Futterkette

 

Auf Festivals finden Filme erstmals ihr Publikum.

 

Wir sind die erste Station in der Futterkette, was die Verwertung von Filmen angeht. Bis sie danach im Kino laufen, kann es Jahre dauern. Oft beginnt nach dem Festival für die Regisseure ein langer Kampf, da noch viel passieren kann, bis ihr Film ins Kino kommt – oder auch nicht.

 

Viele Filme, die es verdient gehabt und wahrscheinlich auch ihr Publikum gefunden hätten, scheitern an rechtlichen Problemen. Im besten Fall laufen sie zuerst auf der Berlinale und wandern dann zu anderen größeren Festivals, erschließen sich so einzelne Ländermärkte und werden zu Welterfolgen im arthouse-Bereich.

 

Unterhaltung heißt, denken zu dürfen

 

Im diesjährigen Programm finden sich wieder große Namen; etwa Michel Gondry mit seinem Film über den amerikanischen Linguisten Noam Chomsky.

 

Dabei arbeitet Gondry essayistisch mit Animationen, so dass die geistigen Höhenflüge von Chomsky plötzlich als gezeichnete Figuren auf der Leinwand zu sehen sind. Das ist vergnüglich.

 

Beim Denken geht es auch um Daseinsfreude und das Denkendürfen. Wir definieren Unterhaltung so, dass wir dabei denken dürfen, während viele bevorzugen, das Denken auszuschalten – zumindest im mainstream-Kino.

 

Keine Gebrauchsanweisung für Erfolge

 

2013 profitierte der belgische Film „The Broken Circle“ sehr von der Berlinale: Erst gewann er den Publikumspreis, dann war er an den Kinokassen erfolgreich, und schließlich bekam Hauptdarstellerin Veerle Baetens den Europäischen Filmpreis.

 

Große Erfolge lassen sich nicht mit einer Gebrauchsanweisung zaubern. Dazu bedarf es vieler verschiedener Elemente. Angefangen beim Zeitpunkt des Kinostarts: Da darf ein Film nicht gleichzeitig mit direkten Konkurrenzfilmen rauskommen, die würden sich gegenseitig kannibalisieren. Wir können Filmen nur den ersten Kick mitgeben.

 

Wichtigste Auswahl-Reise nach Paris

 

Welchen Filmen im diesjährigen Panorama-Programm trauen Sie ähnliche Erfolge zu?

 

„Calvary“ aus Irland mit dem famosen Brendan Gleeson in der Hauptrolle hat solche Chancen. Aus Skandinavien der Film „Blind“ von Eskil Vogt: Eine blinde Frau sitzt in einer Wohnung und lässt in ihrer Imagination andere Dinge passieren, als normale Menschen sehen. Das ist sehr inspirierend.