Berlin

Hanna Schygulla: Traumprotokolle

Schwester, 1979/2005, Standbild. © Hanna Schygulla / Fotoquelle: Akademie der Künste
Im Bett mit Hanna Schygulla: Die große alte Dame des deutschen Autorenfilms stellt in der Akademie der Künste 35 Jahre alte Träume auf selbst gedrehten Video-Bändern aus – einer der seltsamsten Beiträge zu dieser an Kuriositäten reichen Berlinale.

Alle wollen nach Berlin. Hanna Schygulla ist keine Ausnahme: Kurz nach ihrem 70. Geburtstag ist sie in die Hauptstadt umgezogen, mit der sie zuvor wenig verband. Nach 32 Jahren Wohnsitz in Paris hielt sie dort offenbar nichts mehr. Nun hat sie sich in einer Wohngemeinschaft am Savignyplatz einquartiert.

 

Info

 

Hanna Schygulla - Traumprotokolle

 

01.02.2014 - 30.03.2014

täglich außer montags

11 bis 19 Uhr

in der Akademie der Künste, Pariser Platz 4, Berlin

 

Weitere Informationen

 

In einer ähnlichen Gemeinschaft sind 1979 ihre „Traumprotokolle“ entstanden: in der Künstler-Kolonie im alten Pfarrhof in Peterskirchen, wo sie in den 1970er Jahren lebte. Zuvor hatte ihr Rainer Maria Fassbinder in Aussicht gestellt, gemeinsam einen Film zu erarbeiten, dann aber seine Zusage zurückgezogen. Also drehte Hanna Schygulla ihre Filme allein.

 

Vorlagen direkt aus eigenem Kopf

 

Und zwar ganz allein, als konsequente Autorenfilmerin: Sie war ihre eigene Kamerafrau, Beleuchterin, Kostümbildnerin, Darstellerin und Toningenieurin. Das ermöglichte ihr die damals entstehende Videotechnik mit den ersten handlichen Kameras. Die Vorlagen entsprangen direkt ihrem Kopf – Träume, deren Inhalt sie nach dem Aufwachen notierte.


Impressionen der Ausstellung


 

Self made-Filmografie statt Retrospektive

 

Wochenlang drehte sie wie im Rausch, dann packte sie das Material weg. Ab 2002 holte sie die Bänder wieder hervor und bearbeitete sie; drei Jahre darauf wurden sie im New Yorker Museum of Modern Art gezeigt. Für diesen Anlass entstand der erläuternde Kurzfilm „Traumtunnel“, später noch „Hanna Hannah“; darin räsoniert sie über ihren jüdisch klingenden Vornamen und schlägt einen Bogen zum Mahnmal für die ermordeten Juden Europas.

 

Zum runden Geburtstag wollte die Akademie der Künste der Neubürgerin, die 2010 auf der Berlinale einen Goldenen Ehrenbären für ihr Lebenswerk erhielt, eine Retrospektive ausrichten. Doch das übliche Arrangement aus Filmschnipseln, Drehbüchern und Memorabilia behagte Schygulla nicht. Stattdessen bot sie ihre self made-Filmografie an: neun Kurzfilme, zwischen einer und sieben Minuten lang.

 

Koketterie mit der Kamera

 

Nun sind sie in vier Räumen zu sehen; im zentralen Saal auf frei hängende, semitransparente Leinwände projiziert, die auf die Wände durchscheinen. Die Bilder überlagern sich, blitzen hier auf und verlöschen dort – wie im Traum oder Trancezustand, wo nah und fern, gegenwärtig und vergangen kaum unterscheidbar sind. Als niste man im Hirn von Hanna Schygulla.

 

Vor 35 Jahren: Hier agiert die Schauspielerin, die gerade mit „Die Ehe der Maria Braun“ berühmt geworden ist und eine Weltkarriere vor sich hat. Sie weiß um ihre Attraktivität, flirtet und kokettiert mit der Kamera und spielt vor der Linse. In allen denkbaren Posen – wie jemand, der zum ersten Mal vor einem Objektiv steht und ausprobiert, was machbar ist.

 

Kakophonie gegen Hinhören

 

Ihre Lust am Spiel wird von bescheidener Bildqualität nicht getrübt, im Gegenteil: Während heutzutage jeder Möbelhaus-Werbespot mit HD-Tiefenschärfe und special effects protzt, wirkt derlei anrührend nostalgisch. Frühe Video-Kunst aus den 1970/80er Jahren sah auch nicht besser aus.

 

Dagegen herrscht im Ohr, zumindest im zentralen Saal, arges Durcheinander: Alle Tonspuren erklingen gleichzeitig. Zwar kann man ihnen mit Kopfhörern einzeln lauschen, doch die Kakophonie nährt den Verdacht, dass diese Inszenierung genaues Hinhören unterbinden will.

 

Wahnsinn oder Reich der Vernunft

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Klassiker-Verfilmung "Faust"  - mit Hanna Schygulla von Alexander Sokurow

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Vidéo Vintage 1963-1983" mit früher Video-Kunst aus der Sammlung des Centre Pompidou Paris im ZKM, Karlsruhe

 

Nicht ohne Grund: Inhaltlich sind diese Kurzfilme von erhabener Schlichtheit. Sie breiten aus, was eine Mittdreißigerin vor 35 Jahren so beschäftigte. Fassbinder kommt natürlich vor, und die RAF spielt eine Rolle: Schygulla imaginiert sich als „Terrorist Star“, erträumt sich eine „Schwester“ oder findet in ihrer Tasche unverhofft ein Baby – „Und es lebt“.

 

Psychologen mögen darin reiche Anschauung finden, doch alle Anderen dürfte das ratlos lassen. Auch Schygullas Selbstbefragung weist nur ins universell Ungefähre: „Lebe ich im Wahnsinn oder im Reich der Vernunft, oder in beidem zugleich?“ Das mag sie existentiell beschäftigen, aber anschlussfähig ist es kaum.

 

Besser klassische Retrospektive

 

Deutlich wird, warum Träume zwar eine Quelle kreativer Inspiration sein können, doch in Reinform als Kunst nichts taugen: Sie sind radikal privat. Wie könnte man darüber sinnvoll sprechen? Respekt gebührt Schygulla für ihren Mut und Freimut, ihr Innerstes zu entblößen und rückhaltlos der Öffentlichkeit preiszugeben – ob sie sich damit einen Gefallen tut? Wir möchten lieber eine Retrospektive ihrer besten Auftritte als Schauspielerin sehen.