Stuttgart + Rosenheim

Inka – Könige der Anden

Capacchocha-Figürchen, Peru, Inka-Kultur, Imperiale Phase, 15. - 16. Jh., Foto: Hugo Maertens / Fotoquelle: Linden Museum Stuttgart
Größer als das Römische Reich, totalitär wie Stalin, kontrollwütig wie die NSA: Leben im Inka-Staat war meist Zwangsarbeit. Diese bizarre Hochkultur wollten die Spanier auslöschen. Was übrig blieb, zeigt ein erstklassiger Überblick in zwei Museen.

Dieses Tempo ist welthistorisch nahezu einmalig: Im 15. Jahrhundert eroberten die Inka ein Reich, das fast 5000 Kilometer lang war – größer als das antike Römische Reich. So schnell haben ansonsten nur asiatische Reitervölker riesige Landstriche unter ihre Gewalt gebracht; und bald wieder durch Uneinigkeit und Vernichtungswut verloren.

 

Info

 

Inka – Könige der Anden

 

12.10.2013 - 16.03.2014

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr, mittwochs

bis 20 Uhr im Linden Museum für Völkerkunde, Hegelplatz 1, Stuttgart

 

Weitere Informationen

 

Katalog 24,90 €

 

11.04.2014 - 23.11.2014

täglich 9 bis 18 Uhr, am Wochenende ab 10 Uhr im Ausstellungszentrum Lokschuppen, Rathausstraße 24, Rosenheim

 

Weitere Informationen

 

Dagegen kamen die Inka, um zu bleiben: Alle Anden-Völker vom heutigen Ecuador bis Mittelchile, die sie unterworfen hatten, zwangen sie in ihr ausgefeiltes Verwaltungssystem. Die Untertanen mussten Fronarbeit leisten, einen Teil ihrer Ernte an den Staat abgeben oder öffentliche Bauten errichten.

 

40.000 Kilometer Straßennetz

 

Auf diese Weise erschlossen die Inka rasch ihr Herrschaftsgebiet mit hervorragender Infrastruktur. Es durchzog ein Netz von 40.000 Kilometern befestigter Straßen. Sie waren besser als im damaligen Europa: Im Abstand von 30 Kilometern konnte man in Raststätten übernachten. Diese Wege benutzten nur Fußgänger; Pferde und Räder waren unbekannt.

 

Fix ging es trotzdem: Staffelläufer trugen Nachrichten in drei bis fünf Tagen von einem Ende des Reiches zum anderen. Solche Hochleistungs-Kommunikation benötigte das riesige Heer von Staatsangestellten: Es beobachtete ständig die Bevölkerung bis ins kleinste Dorf. Alles wurde erfasst und gezählt: Arbeitsleistung, Abgaben, Transport diverser Güter von A nach B. Jedermann war an seinen Sozialverband gefesselt; darüber wachte die Bürokratie.


Interview mit Lindenmuseum-Direktorin Inés de Castro + Impressionen der Ausstellung


 

Alles in Knotenschnüren notiert

 

Die Angaben wurden nicht schriftlich festgehalten, sondern mit Knotenschnüren, den quipu. Weil die Spanier Ende des 16. Jahrhunderts ihre Vernichtung befahlen, lassen sich die wenigen erhaltenen Exemplare kaum entschlüsseln. Zudem verwendeten die Inka eine große Zahl von Textil-Ornamenten, um Informationen zu fixieren. Auch diese tocapu geben bis heute Rätsel auf.

 

Jedenfalls hielten die Herrscher damit ihr Reich unter Kontrolle. Als Inka galt nur, wer in der  Hauptstadt Cuzco in Südperu wohnte, die vor Palästen und Heiligtümern strotzte. Alle übrigen Bewohner zählten je nach Herkunft zu den tributpflichtigen Verbündeten, Vasallen oder Besiegten. Deren Götter integrierten die Inka in ihre eigene Religion, um ihre Herrschaft zu legitimieren – eine weitere Parallele zum antiken Rom.

 

Proto-sowjetische Massen-Umsiedlungen

 

Mit den Gläubigen sprangen die Herrscher so bedenkenlos um wie später die stalinistische Sowjetunion. Sie ließen Dorfgemeinschaften und ganze Völker dahin umsiedeln, wo man sie gerade brauchte: für Ackerbau, Handwerk oder Straßenbau. Erzeugnisse wurden weitgehend umverteilt; Privateigentum galt wenig. Es fällt schwer, darin keine Zwangskollektivierung zu sehen.

 

Anders als die Sowjetunion war der totalitäre Inka-Staat aber erfolgreich: Ihm gelang, klimatisch bedingte Ernte-Schwankungen auszugleichen, Erträge zu steigern, die Versorgung zu sichern und den Güteraustausch in Gang zu halten. Nicht das Volk bedrohte die Herrscher-Dynastie, sondern ihre eigene Familie.

 

Bürgerkrieg vor Ankunft der Spanier

 

Ein verstorbener König blieb als Mumie präsent – und sein Landbesitz seinem Clan erhalten, der sich damit versorgte. Der Nachfolger musste also für seinen Eigenbedarf neue Ländereien an sich reißen; das erklärt die ungeheure Dynamik der Inka-Eroberungen im 15. Jahrhundert.

 

Diese Strategie half nach 1528 nicht mehr. Im Streit um den Thron führten die Kronprinzen Huascar und Atahualpa einen grausamen Bürgerkrieg, der weite Landstriche verwüstete und entvölkerte. Das Inka-Reich war entscheidend geschwächt, als Francesco Pizarro 1532 dort eintraf. Dennoch dauerte es 40 Jahre, bis seine Söldner jeden Widerstand erstickt hatten.

 

Christliche Dreifaltigkeit mit Indio-Göttern

 

Die Spanier entfesselten eine Kulturrevolution. Sie zerstörten alle Heiligtümer, schleiften die Paläste und wollten sämtliche Inka-Traditionen auslöschen. Das misslang ihnen, wie diese Schau vorführt: etwa mit Altarbildern, auf denen die christliche Dreifaltigkeit mit Indio-Göttern amalgamiert wird, oder Prunk-Textilien, in die neben Kolonial-Wappen auch Inka-Figuren eingewebt sind.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung 1000 Jahre Inkagold im Novomatic Forum, Wien

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Das göttliche Herz der Dinge"Altamerikanische Kunst aus der Sammlung Ludwig im Rautenstrauch-Joest-Museum, Köln

 

und hier eine Besprechung des Films “Und dann der Regen - También la Lluvia” von Icíar Bollaín mit Gael García Bernal über postkoloniale Konflikte zwischen Spaniern + Indios.

 

Den Europäern ist ihr Zerstörungswerk nicht ganz gelungen. Rund 250 Exponate haben die Kuratoren in Museen der alten und neuen Welt aufgestöbert; für die angeblich erste umfassende Inka-Ausstellung überhaupt. Aufwändig und abwechslungsreich inszeniert, bietet sie einen erstklassigen Überblick über diese so hoch entwickelte wie bizarre Kultur.

 

500 Jahre alte Textil-Muster

 

Gold kommt nur in Spurenelementen vor; die Spanier haben es fast vollständig eingeschmolzen. Umso eindrucksvoller sind prächtige Gewänder aus feinstem Garn, deren Muster 500 Jahre überdauert haben – bei den Inka waren sie begehrte Statussymbole. Auch farbenfrohe Tongefäße mit vollplastischem Figurenschmuck faszinieren; sie dienten einst für Trank-Rituale.

 

So virtuos Töpfer, Steinmetze und Weber Mensch- und Tiergestalten abbilden konnten, fällt doch der stete Hang zur Geometrisierung auf. Liegt das an der Zahlenfixierung dieser Kultur, die ständig mit Knotenschnüren maß, den ganzen Kosmos dualistisch deutete und alles symmetrisch darstellte? Das taten auch andere altamerikanische Kulturen.

 

Kunst im Überwachungs-Staat

 

Oder drückt sich in der überstrengen Stilisierung dieser Kunst der totalitäre Geist der Inka-Gesellschaftsordnung aus: ein unerbittlicher Überwachungs-Staat, dessen einfache Bewohner nur als Arbeitsameisen galten? Wie sein Beamtenapparat mit modernen technischen Mitteln wie Telefon und Internet regiert hätte, mag man sich kaum vorstellen.