Berlin + Duisburg + Wiesbaden

K.O. Götz

K.O. Götz: Giverny VII, 1988 , 200 x 260 cm, Mischtechnik auf Leinwand, Sammlung Ströher Darmstadt , © VG Bild-Kunst, Bonn 2013 / Olaf Bergman, Witten. Foto: Staatliche Museen zu Berlin
Hoch soll er leben: Heute feiert Karl Otto Götz seinen 100. Geburtstag. Er ist einer der bedeutendsten abstrakten Maler der Nachkriegszeit – und sicherlich der schwungvollste. Drei deutsche Museen richten ihm eine opulente Retrospektive aus.

Selbst in Augenschein nehmen kann er die große Werkschau zu seinen Ehren nicht mehr: Karl Otto Götz ist inzwischen erblindet. Doch sie würde ihm gewiss gefallen. Im lichten Obergeschoss breitet die Neue Nationalgalerie seine Arbeiten verschwenderisch aus: auf weitläufig verteilten Stellwänden, die den Großformaten genug Platz lassen, um Wirkung zu entfalten.

 

Info

 

K.O. Götz

 

13.12.2013 - 02.03.2014

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr, donnerstags

bis 20 Uhr, samstags + sonntags 11 bis 18 Uhr

in der Neuen Nationalgalerie, Potsdamer Straße 50, Berlin

 

Katalog 30 €

 

Weitere Informationen

 

21.03.2014 - 15.06.2014

mittwochs 14 bis 18 Uhr,

donnerstags - sonntags 11 bis 18 Uhr im MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst, Philosophenweg 55, Innenhafen, Duisburg

 

Weitere Informationen

 

11.07.2014 - 12.10.2014

täglich außer montags

10 bis 17 Uhr, dienstags + donnerstags bis 20 Uhr

im Museum Wiesbaden, Friedrich-Ebert-Allee 2

 

Weitere Informationen

 

Diesen Raum brauchen sie, denn die rund 70 Bilder weisen weit über sich hinaus. Götz hat die Geschwindigkeit in die Malerei eingeführt, heißt es oft. Was das bedeutet, lässt sich hier in allen Facetten erfahren: Farbmassen fließen, jagen und stürzen über die Leinwand, verwirbeln oder knäueln sich zu Strudeln, spritzen auseinander, verströmen oder zersprühen.

 

Eingefrorene Dynamik pur

 

Seine Bilder sind eingefrorene Dynamik pur; Momentaufnahmen eines kontrollierten Chaos. Was nie regellos oder beliebig erscheint, im Gegenteil: In der fein austarierten Verteilung von bemalten und freien Flächen kommen sorgsam geplante Kompositionen zum Ausdruck. Das Auge kann allen Bewegungen im Bild leicht folgen, jeden Pinselschwung erkennen. Dieser Maler hat nichts zu verbergen.

 

Das liegt an seiner einzigartigen Arbeitsweise, die er 1952 entwickelte: Zuerst legt Götz in Skizzen Aufbau und Umrisse der beabsichtigten Bildelemente ungefähr fest. Dann verstreicht er durch Kleister verflüssigte Farbe auf der am Boden liegenden Leinwand. In die noch nasse Farbe kratzt er mit einem Rakel blitzschnell weitere Formen hinein. Anschließend wischt er unerwünschte Flecken weg und setzt mit dem Pinsel letzte Akzente.

 

Bewusster als action painting

 

Häufig wird diese Malweise mit dem Abstrakten Expressionismus verglichen, insbesondere dem action painting von Jackson Pollock. Doch im Unterschied zu Pollock überließ sich Götz nie nur spontanen Eingebungen, sondern kombinierte stets ein zuvor von ihm festgelegtes „Bildschema“ mit zufälligen Einflüssen.


Interview mit Kurator Joachim Jäger + Impressionen der Ausstellung; © Mythos Olympia


 

Das Wunder beim Schopf packen

 

„Ich hielt mich an den alten Programmpunkt der Surrealisten: Durch psychischen Automatismus und Paroxysmus das Wunder beim Schopf packen – höchste Steigerung des subjektiven Ausdrucks durch die Schnelligkeit des Malvorgangs, um dadurch die Grenzen der eigenen subjektiven Vorstellung zu sprengen“, schrieb er 1983.

 

Indem er das Subjektive wie seine Überschreitung durch Unvorhersehbares betonte, wurde Götz in den 1950er Jahren neben Hans Hartung, Emil Schumacher und seinem Freund Bernard Schultze zu einer Galionsfigur des deutschen Informel. Abstrakte Malerei galt als künstlerischer Ausdruck der Freiheit im Westen – im Gegensatz zur Staatsdoktrin des gegenständlichen „Sozialistischen Realismus“.

 

Interesse an Radiotechnik + Fliegerei

 

Das Ende des Kalten Krieges hat auch den kunsttheoretischen System-Wettstreit erledigt. Doch die Freiheits-Verheißung der Nachkriegs-Moderne veranschaulicht nichts besser als Götz‘ Werk – nie sah Malerei rasanter und überschäumender aus.

 

Dabei ist ihr Schöpfer alles andere als ein Feuerkopf. Der in Aachen geborene Sohn eines Ingenieurs malte schon als Kind, begeisterte sich aber auch für Radiotechnik und Fliegerei. Beides nährte seine Lust am Experimentieren. Als 20-Jähriger übersprühte er Schablonen mit Farben; solche surrealistisch anmutenden Bilder sind auch in der Schau zu sehen, die nach Berlin in Duisburg und Wiesbaden gezeigt wird.

 

Abklatsch-Drucke + Luftpumpen-Bilder

 

In der NS-Zeit hatte er Mal- und Ausstellungsverbot, machte aber heimlich weiter; im Krieg war er als Soldat in Norwegen stationiert. Danach probierte er Monotypien, also Abklatsch-Drucke, und „Luftpumpen-Bilder“ aus, bei denen er Wasserfarben mit Luftpumpen verteilte und weiter bearbeitete – daneben auch herkömmliche Gouachen und Temperafarben.

 

Die Kunst war in Aufbruchsstimmung. Götz schloss sich der internationalen CoBrA-Gruppe an, beteiligte sich an vielen Ausstellungen, gab die Zeitschrift „Metamorphose“ heraus, übersetzte surrealistische Lyrik und dichtete selbst. Ein schönes Zeugnis dieser bewegten Jahre ist sein Bild „Schwarze Rhythmen“ von 1951: Biomorphe Silhouetten wie auf einem Scherenschnitt tänzeln zu imaginären Klängen, die der Jazz-Fan vielleicht im Ohr hatte.

 

Lehrer von Richter + Polke

 

Bis er 1952 zu seiner Rakel-Maltechnik fand, die ihm sofort Anerkennung einbrachte. 1959 war er documenta-Teilnehmer und wurde an die Kunstakademie Düsseldorf berufen. Dort lehrte er 20 Jahre lang Malerei; zu seinen Studenten zählten spätere Kunstbetrieb-Stars wie Gerhard Richter, Sigmar Polke, Gotthard Graubner und HA Schult.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung Der geteilte Himmel: Die Sammlung 1945–1968 mit Werken von K.O. Götz in der Neuen Nationalgalerie, Berlin

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "geteilt | ungeteilt: Kunst in Deutschland 1945 bis 2010"  - mit Werken von K.O. Götz in der Galerie Neue Meister im Albertinum, Dresden

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Lob des Rokoko" mit Werken des Informel-Malers Hann Trier im Schaetzlerpalais, Augsburg

 

und hier eine Kritik der Dokumentation "Gerhard Richter Painting" von Corinna Belz über seine Malerei mit dem Rakel.

 

Götz galt als liberaler Professor, der seine Schüler ermutigte, „mich nicht nachzumachen, sondern sich zu bemühen, künstlerisch etwas Eigenes zu schaffen und vor allen Dingen mit seiner künstlerischen Arbeit durchzuhalten.“ Sieht man auf Filmaufnahmen aus dieser Zeit, wie lakonisch-pragmatisch der passionierte Pfeifenraucher zu Werke geht, glaubt man ihm augenblicklich.

 

Triptychon gegen Atomrüstung

 

Dabei reichen seine Interessen weit über Kunst hinaus. Manche Gemälde demonstrieren, dass abstrakte Bilder eindeutig und entschieden Stellung beziehen können. Etwa ein Triptychon von 1958 gegen Atomrüstung: Die Außentafeln sind nach zwei Raketen-Typen „Jupiter“ und „Matador“ benannt, das Mittelstück zeigt „ein rotes Kreuz, das so aussah, als ob es aus blutigen Muskeln bestünde“, so Götz.

 

Am Tag der deutschen Wiedervereinigung malte er „Jonction – 3.10.90“ und notierte, einmalig in seinem Werk, Titel und Datum auf der Leinwand selbst: Dass hier zwei bislang getrennte Kräfte zueinander kommen, ist offensichtlich. Wie auf seinem vielleicht letzten Bild von 2010, bei dem ihm sein Assistent zur Hand gehen musste: Auf pechschwarzem Grund versprühen zwei weiße Formen unbändige Energie.

 

Mal über Weiterleben nachdenken

 

Es mag diese Energie sein, die ihn so lange leben lässt; gepaart mit heiterer Nüchternheit, der jedes Pathos fremd ist. In einem Interview vor seinem 100. Geburtstag hat ihn ein ARD-Fernsehteam gefragt, ob er an ein Weiterleben nach dem Tod glaube. Götz antwortete: „Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Könnte ich eigentlich mal machen; ich habe ja jetzt genug Zeit dafür.“