Frankfurt am Main

Baal + Fassbinder – Jetzt: Film und Videokunst

Szenenbild aus "Baal", Rainer Werner Fassbinder und Irmgard Paulis, 1969. Foto: © Volker Schlöndorff
Fassbinder ist Baal: ein egomanischer Berserker, der die Welt aufsaugt. Wie sehr das Regie-Genie der Hauptfigur von Brechts Drama ähnelte, zeigt eine Schau im Filmmuseum – und Volker Schlöndorffs gleichnamiger Film, der nach 44 Jahren ins Kino kommt.

Hier kommt das Alphatier: Es raucht und raunzt, säuft und speit. Baal lässt sich durch die Tage treiben; er nimmt, was er kriegen kann, schert sich nicht um den Rest, benutzt andere, saugt sie aus, stößt sie in die Gosse und rüpelt durch die Welt, solange es geht. Denn seine Verse betören Menschen so sehr, dass sie voller Hingabe an seinen Lippen hängen.

 

Info

 

Baal

 

Regie: Volker Schlöndorff,

88 Min., Deutschland 1969;

mit: Rainer Werner Fassbinder, Margarethe von Trotta, Hanna Schygulla

 

Weitere Informationen

 

Fassbinder – Jetzt:
Film und Videokunst

 

30.10.2013 – 01.06.2014

täglich außer montags 

10 bis 18 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr im Deutschen Filmmuseum, Schaumainkai 41, Frankfurt am Main

 

Katalog 25 €

 

Weitere Informationen

 

Der 20-jährige Bertolt Brecht schrieb „Baal“ 1918 als sein erstes Stück; in den Text floss der Irrsinn des Ersten Weltkriegs ein. Ein asozialer Anarchist kommt wie der Antichrist auf die Gesellschaft nieder, kehrt das Unterste zuoberst, schändet hier und schwängert da, bis er elend krepiert: im mitreißendsten Drama des literarischen Expressionismus.

 

Begnadeter Kotzbrocken

 

Rainer Werner Fassbinder spielt den begnadeten Kotzbrocken: mit wiegendem Gang in dreckigen Hosen, mit wegwerfenden Gesten und höhnischer Miene. Im Blick die unerschütterliche Gewissheit, dass keiner ihm das Wasser reichen kann, selbst wenn er im Suff nur lallt: Sein Charisma lässt alle nach seiner Pfeife tanzen. Da ist Fassbinder gerade 24 Jahre alt – und die Idealbesetzung für Baal.

 

Als Hauptfigur im vierten Film von Volker Schlöndorff; er holte 1969 viele vor die Kamera, die später Stars des deutschen Autorenkinos wurden: Margarethe von Trotta, Hanna Schygulla, Günther Kaufmann, Peer Raben – sogar Walter Sedlmayr. Die Älteren agieren halbwegs professionell, die jüngeren mit dilettantischem Charme.


Auszug aus dem Film "Baal" (1969), Regie: Volker Schlöndorff


 

1970 im TV zur besten Sendezeit gezeigt

 

Handwerklich macht der Film tabula rasa, was zur Vorlage passt. Mit Handkamera wird in ranzigen Spelunken, auf dem Schrottplatz oder im Maisfeld gedreht: mit Reißschwenks zwischen blendendem Gegenlicht und verschatteten Gesichtern. In einer der stärksten Szenen stapfen Baal und sein Freund Ekart durch ein Gewerbegebiet, streiten um ihre Geliebte, wollen im Wald übernachten – und werfen sich in die Straßenböschung.

 

Im Eiltempo heruntergekurbelt, sprüht diese Fingerübung immer noch vor unbändiger Energie wie andere Meilensteine, mit denen Jungregisseure das Kino ganz neu erfinden wollten: etwa Godards „Außer Atem“ oder „Stranger than Paradise“ von Jim Jarmush. Doch Schlöndorffs Film kommt erst jetzt mit 44 Jahren Verspätung auf die Leinwand (Kinostart: 20.3.); im Fernsehen lief er 1970 zur besten Sendezeit. Prompt ließ ihn die Brecht-Witwe Helene Weigel verbieten: Fassbinders rotzige Randale passte so gar nicht zum Andenken des sozialistischen Staatsdichters.

 

Zuckerbrot + Peitsche für seinen Clan

 

Den Bann haben die Brecht-Erben endlich aufgehoben. Und das Anschauen lohnt unbedingt, um zu begreifen, wer Fassbinder war. Schlöndorff betont in seiner Autobiographie, „wie viel Fassbinder tatsächlich in Brechts Baal steckte. Menschliche Beziehungen sah er als ein Spiel von Lust und Gier, gesteuert von Geld und Sex, zwei Mittel, derer er sich skrupellos bediente, um andere zu manipulieren – was meist gelang und ihm wiederum Lust verschaffte.“

 

Solche Abgründe stehen auch im Zentrum seines Schaffens. Autokratisch drehte er seine Filme im Akkord: Mit einem eingeschworenen „Clan“ aus von ihm abhängigen Halb-Amateuren und Seiteneinsteigern, die er egomanisch mit Zuckerbrot und Peitsche zusammenhielt. Er strahlte ungeheure Autorität aus; entzog er Zuneigung, stürzten seine Zöglinge in schwere Krisen.


Impressionen der Ausstellung im Deutschen Filmmuseum


 

Fassbinder-Figuren haben keine Chance

 

Fassbinders Filme spiegeln dieses Geflecht aus Abhängigkeiten und Versehrungen wider; Glück ist nie von Dauer, Zwänge erledigen jede Hoffnung. Darin sahen Zeitgenossen in den fortschrittsoptimistischen 1970er Jahren vor allem handfeste Sozialkritik: an Ausbeutung, Konsumfetischismus, Fremdenhass usw. Aus heutiger Sicht tritt eher das Tragische hervor. Seine Figuren haben keine Chance, ihr halbherziges Aufbegehren nützt ihnen nichts.

 

Das macht diese unterkühlt stilisierten Analysen allgegenwärtiger Macht-Mechanismen zeitlos gültig und weltweit attraktiv: Im Ausland ist Fassbinder viel populärer als hierzulande. Ihn bezeichnen so unterschiedliche Nachfolger wie François Ozon und Wong Kar Wai als ihren Lieblings-Regisseur. Anspielungen auf seine Filme finden sich in etlichen Werken der Gegenwarts-Kunst: Obwohl er schon 1982 starb, hat kein anderer deutscher Nachkriegs-Filmemacher solche Wirkung entfaltet.