Thomas Dirnhofer

Cerro Torre – Nicht den Hauch einer Chance

David Lama an einer Steilwand des Cerro Torre, © Else Lincoln. Foto: Red Bull Media House
(Kinostart: 13.3.) Der Berg ruft: hier eine 3000 Meter hohe Felsnadel in Süd-Argentinien, die als kaum bezwingbar gilt. Auch die Protagonisten von Regisseur Thomas Dirnhofer brauchen drei Anläufe: spektakuläre Doku für eingefleischte Kletter-Fans.

Das Genre des Bergsteiger-Films gibt es, seitdem man Kameras hinaus in die Natur tragen kann, also seit Mitte der 1920er Jahre. 1924 debütierte Luis Trenker in „Der Berg des Schicksals“; danach erzählte und drehte der Südtiroler ein halbes Jahrhundert lang Gipfel-Geschichten.

 

Info

 

Cerro Torre - Nicht den Hauch einer Chance

 

Regie: Thomas Dirnhofer,

104 Min., Österreich/ Großbritannien 2013;

mit: David Lama, Peter Ortner, Toni Ponholzer

 

Website zum Film

 

Die Faszination für Berge und ihre Bezwinger ist weiter ungebrochen. Da die Kletterkünste der Bergsteiger und ihre technischen Möglichkeiten laufend besser werden, wagen sich immer mehr Dokumentarfilmer auf eisige Abhänge in Schwindel erregenden Höhen. Warum Geschichten erfinden, wenn Gebirge schon alle Zutaten für große Dramen bieten?

 

Triumphe einsamer Helden

 

Einsame Helden überwinden ihre Grenzen, glauben unerschütterlich an ihre Fähigkeiten und Mission; am Ende zeigen sie es allen Zweiflern – besonders der Fachwelt, ihren Kollegen. „Cerro Torre“ macht hier keine Ausnahme; doch immerhin geht der Film mit diesem pathetischen Strickmuster offen um und spielt sogar damit.

Offizieller Filmtrailer


 

Vier Jahreszeiten an einem Tag

 

Der Cerro Torre auf der argentinischen Seite Patagoniens ist zwar nur 3133 Meter hoch, doch die steil aufragende Felsnadel aus Granit gilt als fast unbezwingbar. Sie steht im Nationalpark „Los Glaciares“, der vor allem von drei riesigen Gletschern gebildet wird; den hiesigen Wind nennt man den „Besen Gottes“. Das Wetter ist extrem unbeständig; regelmäßig kann man alle vier Jahreszeiten an einem einzigen Tag erleben.

 

Den Cerro Torre umranken etliche Alpinisten-Mythen. Seine angebliche Erstbesteigung 1959 verlief wie ein Krimi: Der Italiener Cesare Maestri kam ohne seinen österreichischen Partner Toni Egger vom Gipfel zurück. Er war laut Maestri beim Abstieg in eisige Tiefen abgestürzt – samt Kamera mit dem Gipfelfoto. Seither wird gerätselt, ob beide wirklich den Gipfel erreicht hatten.

 

Brutale Materialschlacht mit Kompressor

 

Um Kritiker zum Schweigen zu bringen, kehrte der Italiener 1970 zurück zum Torre – und schoss mit einem Bohrkompressor rund 400 Haken in die Felswände. Die von ihm angelegte „Kompressor-Route“ gilt heute als Negativbeispiel für brutale Materialschlachten, mit denen Bergsteiger um jeden Preis die Natur besiegen wollen. Das lehnen viele Alpinisten strikt ab; Maestris Ruf ist ruiniert. 

 

2009 will David Lama, 19-jähriges Kletter-Wunderkind und Champion in Kletterhallen weltweit, hinaus ins Gebirge und ebenfalls hinauf auf den Torre. Er will ihn entlang der „Kompressor-Route“ als erster freeclimber besteigen. Beim Freiklettern wird der Berg nur mit Hilfe der natürlichen Struktur des Felsens erklommen. Durch Griffe und Tritte zieht man sich ohne Hilfsmittel nach oben; Seile und Haken dienen nur zur Sicherung gegen einen Absturz.

 

Empörung über neue Fels-Haken

 

Drei Jahre lang versucht sich der junge Kletterer nun am Torre, wobei ihn ein Filmteam begleitet: Es dokumentiert Lamas Hybris, diese Felsnadel mal eben zu besteigen. Seine Crew wird zu neuen Maestris: Die Alpinisten-Szene ist empört, als weitere, für die Dreharbeiten nötige Haken in die Wand geschossen werden.

 

Regisseur Thomas Dirnhofer und seine Protagonisten müssen umdenken und den Film in bescheidenerer Form fertig stellen. 2011 erreicht Lama erstmals den Gipfel, aber erst beim dritten Anlauf schafft er 2012 den Aufstieg als Freikletterer – wie es ursprünglich geplant war.

 

Nahsicht auf schweigende Extremsportler

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Chasing Ice" - großartige Doku über Berg-Gletscher von Jeff Orlowski

 

und hier einen Bericht über den Film "The Loneliest Planet" - Globetrotter-Drama in Georgiens Bergwelt von Julia Loktev mit Gael García Bernal

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Alpenglühen" über die Berglandschaft als Sehnsuchtsort im Schlossmuseum Murnau.

 

Der Alpinisten-Sport steht in diesem Film klar im Vordergrund. Sobald die Dreharbeiten umweltverträglicher ablaufen, entstehen weniger spektakuläre Aufnahmen. Wenn Lama und sein Partner in der Wand sind, sehen die Zuschauer Bilder aus ihren Helm-Kameras. So ist man sehr nah an den Sportlern dran, aber das ist erstaunlicherweise eher langweilig.

 

Regisseur Dirnhofer will Lebensgefühl und Haltung seiner Extremsportler in den Vordergrund rücken. Dazu taugt der Jüngling David Lama leider nur bedingt: Der Sohn einer Österreicherin und eines Sherpas aus Nepal sieht zwar sehr hübsch aus, aber er und sein Partner Peter Ortner aus Tirol sind meist schweigend mit ihrem Sport beschäftigt.

 

Gänsehaut-Moment in Orange

 

Totale Spezialisierung auf eine Sache lässt oft nicht viel Platz für Witz oder Weitblick. So wird diese Doku zu einem echten special interest-Film für eine kleine Zielgruppe: Eingefleischte Kletter-Fans kommen ganz sicher auf ihre Kosten.

 

Einige atemberaubende Aufnahmen aus dem Hubschrauber gelingen aber doch: Während Lama und Ortner bei Sonnenuntergang auf dem Gipfel des Torre stehen, leuchtet ringsum die Weite der Bergwelt Patagoniens orangefarben auf. Ihr Triumph relativiert sich: Beide wirken winzig klein und werden eins mit der gigantischen Kulisse. Da sorgt auch dieses Bergsteiger-Drama für einen Gänsehaut-Moment.