Dietrich Brüggemann

Kreuzweg

Maria (Lea van Acken) und Pater Weber (Florian Stetter) führen ein Gespräch. © Dietrich Brüggemann. Foto: Camino Filmverleih
(Kinostart: 20.3.) In der Nachfolge Jesu Christi: Eine 14-Jährige wächst in einer strenggläubigen Familie auf und zieht radikale Konsequenzen. Für seine berührende Milieu-Studie bekam Regisseur Brüggemann den Silbernen Bären für das beste Drehbuch.

Ein Bild der Harmonie: Ein junger Priester sitzt mit seinen minderjährigen Schützlingen an einem Tisch. Die Teenager schauen jüngerhaft zu ihm auf – ein lebendes Tableau, angelehnt an ikonische Abbildungen des „Abendmahls“. Was der schmucke Pater (Florian Stetter) im Firmunterricht seinen Schützlingen beibringt, hat jedoch wenig mit Jesus‘ Milde zu tun.

 

Info

 

Kreuzweg

 

Regie: Dietrich Brüggemann,

107 Min., Deutschland 2013;

mit: Lea van Acken, Franziska Weisz, Florian Stetter

 

Website zum Film

 

Er spricht vom Kampf gegen das Böse, Opferbereitschaft und der einzig wahren katholischen Religion, der nur noch sie anhingen, die Angehörigen der (fiktiven) Paulus-Bruderschaft. Hier wird nichts auf die leichte Schulter genommen. Die 14-jährige Maria (Lea van Acken) ist von den Worten des Priesters beeindruckt. Nach der Bibelstunde fragt sie ihn, ob Selbstaufopferung einen anderen Menschen retten kann. Der Pfarrer bejaht, ohne zu ahnen, was das Mädchen plant.

 

Bruder kann nicht sprechen

 

So streng geht es auch in Marias Familie zu. Die Mutter (Franziska Weisz) unterdrückt ihre Tochter ständig aus Angst, sie könne ihrem Einfluss entgleiten. Der Vater hat wenig zu melden. Zudem muss sich Maria als Älteste der vier Geschwister um die anderen kümmern. Ihr  vierjähriger Bruder Johannes gilt als Sorgenkind; er kann immer noch nicht sprechen.


Offizieller Filmtrailer


 

Besuch im Kirchenchor verboten

 

Marias einzige Vertraute ist das französische Au-Pair-Mädchen Bernadette: Sie hat Verständnis für ihre Probleme. Außerhalb ihrer Glaubens-Gemeinschaft ist Maria ein absoluter Außenseiter, darf an keinen normalen Aktivitäten teilnehmen und hat keine Freunde.

 

Nur Christian aus der Parallelklasse ihrer Schule interessiert sich für das stille Mädchen und das Geheimnis, das sie umgibt; er lädt sie sogar zu einer Probe seines Kirchenchors ein. Das verbietet ihr die Mutter: Die Gemeinde von Christian sei zu weltlich. So wird Maria immer weiter isoliert – bis sie sich entschließt, ihr Leben völlig Gott hinzugeben, auch um ihren geliebten kleinen Bruder zu retten.

 

Starre Kamera in jeder Szene

 

In 14 nach den Stationen des Kreuzwegs benannten Kapiteln erzählt Regisseur Dietrich Brüggemann von religiösem Extremismus, den man eher mit bärtigen, eifernden Männern assoziiert, aber hierzulande für ausgestorben hält. Doch in der süddeutschen Idylle ist noch genug Raum für Rückzug und Abschottung, wie sie diese Glaubensströmung praktiziert – Ähnlichkeiten zur tatsächlich existierenden Pius-Bruderschaft sind beabsichtigt.

 

Dabei konzentriert sich Brüggemann, der das Drehbuch gemeinsam mit seiner Schwester Anna schrieb, ganz auf Marias Person und ihr Umfeld: mehr beobachtend als mitfühlend. Diesen Eindruck verstärkt ein strenger Bildaufbau. In jeder Kapitel-Szene verlässt die Kamera nie ihre Position; so drehte Brüggemann auch schon seinen Debütfilm „Neun Szenen“ (2006).

 

Leben aus Angst und Repression

 

Solche Tableaus lassen dem Zuschauer genug Zeit, sich ausgiebig ein Bild von der Situation zu machen, bis das nächste Kapitel mit einer Schrifttafel beginnt. Das funktioniert hervorragend, wäre aber nicht möglich ohne eine kongeniale Besetzung wie hier. Fast meint man, tatsächlich mit am Tisch zu sitzen und als stiller Beobachter Zeuge von Familienstreit zu sein.

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier einen Bericht über den Film "Paradies Glaube"  - Porträt einer strenggläubigen Katholikin von Ulrich Seidl

 

und hier eine Besprechung des Films "Die Nonne" - Verfilmung des Klassikers von Denis Diderot durch Guillaume Nicloux

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung Kraftwerk Religion – Über Gott und die Menschen im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden.

Noch unangenehmer wird es, wenn Mutter und Tochter allein sind. Das Verhalten der Mutter lässt erahnen, dass auch sie wohl kaum eine unbeschwerte Kindheit hatte. Ihr Leben ist von Angst und Repression bestimmt, die sie an ihre Tochter weitergibt – nur geht diese auf andere Weise damit um.

 

Missbrauch am Menschen

 

So zeigt der Film keinen klassischen Leidensweg, wie der Titel suggerieren mag, sondern eher die unbeirrte Umsetzung einer wahnwitzigen Idee. Am Ende steht Marias Wille, heilig zu werden; auch um von der Mutter stärker akzeptiert zu werden.

 

Regisseur Brüggemann will die katholische Kirche weder insgesamt noch in ihrer fundamentalistischen Ausprägung angreifen. Vielmehr fragt er, inwieweit solche abgeschlossene Gemeinschaften mit ihren starren, überkommenen Regeln an sich schon Missbrauch am Menschen darstellen.

 

Da braucht es keine lüsternen Kleriker, die sich an Minderjährigen vergreifen. Allein die psychische Gewalt, die auf Gläubige ausgeübt wird, reicht aus, um tödliche Folgen zu zeitigen. Ein hoch emotionaler und tief berührender Film – auch wenn man das Mädchen gerne mal ordentlich durchschütteln und zur Vernunft bringen würde.