Herrliche Zeiten? Computer und Roboter nehmen dem Menschen immer mehr Tätigkeiten ab, aber viel „Zeit zum Spielen“ springt am Ende oft nicht heraus. Im Gegenteil: Die einen kennen keinen Feierabend, die anderen quälen sich in täglich neuen Arbeitsbeschaffungs-Maßnahmen.
Info
Playtime
15.03.2014 - 29.06.2014
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr,
dienstags bis 21 Uhr
im Kunstbau der Städtischen Galerie Lenbachhaus, Luisenstr. 33, München
Kostenloser Katalog als Download hier
Mobilitätswahn + Glaskästen
Im Focus stehen die vorherrschenden Arbeitsbedingungen in demokratisch-kapitalistischen Wirtschaftssystemen. Benannt ist die absolut sehenswerte Schau nach Jacques Tatis’ gleichnamigem Film von 1967: einer noch immer erstaunlich aktuellen Kritik an der Moderne als Satire auf Mobilitätswahn, Massentourismus und monotone Stahl-Glas-Architektur.
Trailer des Films "Playtime" (1967) von Jacques Tati
Video-Clips im Kunst-Kanon
Mit seinem ersten Projekt setzt der neue Lenbachhaus-Direktor Matthias Mühling gleich ein paar Zeichen: Neben Werken von Altmeistern wie Jörg Immendorffs „Fragen eines lesenden Arbeiters von Bert Brecht“ und den „Solo-Szenen“ von Dieter Roth auf 131 Selbstüberwachungs-Monitoren werden viele junge Künstler und Künstlerinnen gezeigt.
Die Schau nimmt außerdem Video-Clips in den Kunst-Kanon auf: Donna Summers Disco-Hit „She Works Hard for the Money“ von 1983 und „Opportunities – Let’s make lots of Money“ (1985) von den Pet Shop Boys, ihre Hymne gegen den Thatcherismus.
Springflut in Helmut Kohls Bungalow
Die Kuratorinnen Katrin Dillkofer und Elisabeth Giers präsentieren auch einige Filme: Neben Tati natürlich „Moderne Zeiten”, in der Charlie Chaplin 1936 den Fließband-Taylorismus zu seiner Entstehungszeit parodierte und ad absurdum führte; als heutiges Gegenstück dann Ali Kazmas Beobachtungen von 2012 zur Automatik-Effizienz in einer Automobilfabrik.
Immer noch großartig ist Christoph Schlingensiefs „Chance 2000“-Idee von 1998, mit sechs Millionen Arbeitslosen in den Wolfgangssee zu springen – damit der über die Ufer bis in den Ferien-Bungalow von Helmut Kohl schwappt. Der „ewige Kanzler“ räumte wenig später seinen Arbeitsplatz, die Stütze-Bezieher von damals dürften heute Minijobber oder Niedriglohn-Aufstocker sein.
Bürostuhl als Kamikaze-Karussell
Mit welchen Kosten für die Seele? Arbeit dient nicht allein dem Broterwerb, sondern ist Grundvoraussetzung für gesellschaftliche Akzeptanz. Harun Farockis Dokumentation eines Bewerbungs-Workshops von 1997 bietet Einblicke in eine zielorientiert vereinfachte Motivations-Psychologie und Leistungs-Ideologie.
Daraus macht Melanie Gilligan in ihrem Film „Popular Unrest“ (2010) ein düsteres Zukunfts-Szenario, in dem Arbeitslose bei sinnlosen Rollenspielen Arbeit imitieren. Und ab wann ist der Lohn Schmerzensgeld? Als „Burnout Machine“ von Beate Engl wird der Bürostuhl jedenfalls zum Kamikaze-Karussell.
Neoliberale Player im Kunstbetrieb
Die Ausstellung ist vielschichtig und breit gefächert; die Figur des Erwerbstätigen schillert zwischen ‚Humankapital‘ und vermeintlich selbst bestimmtem ‚Kreativen‘. Der albanische Künstler Adrian Paci zeigt in „Turn on“ beschäftigungslose Bauarbeiter vor einer Ruine, die von einem Generator erleuchtete Glühbirnen wie Kostbarkeiten in den Händen halten.
Aber Arbeit ist auch die härteste Währung einer Gesellschaft, die den kategorischen Imperativ der Selbstoptimierung verinnerlicht hat. Postulate wie Flexibilität, Kreativität, Eigenverantwortung und totale Identifikation mit ihrer Arbeit machen selbst Künstler zum Musterschüler des Neoliberalismus im Kunstbetrieb, der nicht zufällig so genannt wird.
Zehn Gebote für besseres Arbeiten
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films “The Company Men” von Jon Wells über US-Arbeitslose mit Ben Affleck und Tommy Lee Jones
und hier eine Besprechung der Doku "Herr Wichmann aus der dritten Reihe" von Andreas Dresen über den Arbeitsalltag eines Politikers
und hier einen Beitrag über den Film “Der Verdingbub” von Markus Imboden über Kinder als Arbeits-Sklaven in der Schweiz.
Mladen Stilinović interpretierte hingegen schon 1978 im damaligen Jugoslawien schöpferische Pausen doppeldeutig als Verweigerung und notwendige Traum-Aktivität: Er ließ sich beim Schlafen fotografieren. Schlafen müssen auch Menschen und Hunde auf den Straßen von Mexiko-City, die Francis Alÿs für seine Serie „Sleepers“ fotografiert hat – vor Erschöpfung.
Hotelzimmer-Sex in 5er-Edition
Schließlich widmet die Schau geschlechtsspezifischer Arbeit viel Raum: Das „Berwick Street Collective“ begleitete Anfang der 1970er Jahre in London nächtliche Putzkolonnen – vorwiegend Frauen – durch kalte Bürolandschaften und deckte miserable Arbeitsbedingungen auf.
Martha Rosler führte 1975 in “Semiotics of the Kitchen” mit wütendem Sarkasmus Haushaltsgeräte als typische Frauen-Werkzeuge vor. Am weitesten geht aber Andrea Fraser; bei ihr wird der Kunstmarkt zu reiner Prostitution. Sie verkaufte einem Sammler Sex im Hotelzimmer – der Videomitschnitt davon ist als erstes Exemplar einer 5er-Edition die Trophäe für seine Kollektion.