Glücklich ist ein Land, das unantastbare Institutionen kennt: etwa der sonntägliche Kirchgang, Waffenbesitz für alle oder die Helden der Nation. Das musste Eric Fischl erfahren, als er am ersten Jahrestag des Terror-Anschlags auf das World Trade Center seine Gedenk-Skulptur im Rockefeller Center enthüllte. Der allgemeine Aufschrei war so groß, dass sie nach zwei Tagen entfernt wurde.
Info
Eric Fischl – Friends, Lovers and other Constellations
12.02.2014 - 11.05.2014
täglich 10 bis 18 Uhr, mittwochs bis 21 Uhr in der Albertina, Albertinaplatz 1, Wien
Katalog 23 €
Schulter-Landung schadet schwer
Nun kann sich das alte Europa ein Bild vom corpus delicti machen: Die Bronzeplastik „Tumbling Woman“ („Stürzende Frau“) ist Blickfang der Werkschau in der Albertina. In der Tat hat die lebensgroße, nackte Frau nichts Heroisches: Sie landet gerade in Hochspringer-Manier auf den Schultern, doch ihr Leib ist so verdreht, dass der Aufprall schwer schaden wird.
Impressionen der Ausstellung
Von 9/11 zu besten Arbeiten inspiriert
Offensichtlich hat sie ihre Körper-Kontrolle gänzlich verloren; wie nach langem Sturz aus großer Höhe nicht anders zu erwarten. Fischl stellt ein Terror-Opfer als desorientierte, hilflose und leidende Kreatur dar – das war ein Jahr nach dem Attentat so ungefähr das Allerletzte, was die US-Öffentlichkeit sehen wollte.
Eine Dekade später und 7000 Kilometer vom Ort des Geschehens entfernt zeigt sich jedoch: 9/11 hat Fischl zu einigen seiner besten Arbeiten inspiriert. An den Wänden um die Skulptur herum hängen Aquarelle voller Menschen mit grotesk verdrehten Gliedern in allen denkbaren Posen: Ihr Fall hebt die Schwerkraft und jede Ordnung auf.
So oberflächlich wie Alltagskultur selbst
Um solche Schlaglichter des Grauens zu skizzieren, genügen dem Künstler wenige hingetuschte Farbflächen auf weißem Grund. Dem Ausnahmezustand begegnet er mit äußerster Ökonomie seiner Mittel. Im Normalfall ist das anders, wie die übrige Ausstellung zeigt: Da malt Fischl oft genau so oberflächlich, beliebig und belanglos, wie die Alltagskultur erscheint, die er festhält.
Ende der 1970er Jahre begann er mit Schwarzweiß-Figuren auf transparentem Pergament-Papier, das er wie Folien ineinander schob; ein Legespiel für Kunststudenten. In den 1980ern entdeckte er Farben, Strandleben und das Bad in der Menge: Seither bevölkern mehr oder weniger nackte Gestalten bei Freizeitspaß und dolce far niente seine Bilder – gerne in mehr oder weniger eindeutig erotischen Konstellationen.
Alles Mögliche – oder auch gar nichts
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Maria Lassnig: Der Ort der Bilder" in den Deichtorhallen, Hamburg
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Gottfried Helnwein - Retrospektive" in der Albertina, Wien
und hier einen Bericht über die Ausstellung "BubeDameKönigAss" mit Körperbildern von Martin Eder in der Neuen Nationalgalerie, Berlin.
Fischl-Fans sehen ihn in einer Reihe mit großen Einzelgängern der Gegenwartskunst, die stets unbeirrt vom Zeitgeist an figurativer Malerei festhielten: etwa Lucian Freud oder Maria Lassnig. Doch deren psychologische Schärfe fehlt dem Amerikaner; nicht nur motivisch, sondern auch handwerklich.
Schauder für mystery-thriller-Fans
Schwungvoll umreißt er Körperformen, verwischt Gesichter, deutet Requisiten oder Räume fahrig an und lässt alles in der Schwebe – möge sich jeder seinen eigenen Reim drauf machen. Diese aufreizend anonymisierten Bilder lassen couch potatoes ahnungsvoll schaudern, die zu viele mystery thriller oder David-Lynch-Filme gesehen haben. Bis eine wirkliche Katastrophe hereinbricht: Dann wird gegen Fischls Kunst der ambivalenten Andeutung protestiert.