Wiesbaden + Emden

Horizont Jawlensky – Alexej von Jawlensky im Spiegel seiner künstlerischen Begegnungen 1900 – 1914

Alexej von Jawlensky: Selbstbildnis, 1912. Foto: Museum Wiesbaden
Hinter dem Horizont der Moderne geht's weiter: Im Münchener Exil eignete sich Alexej von Jawlensky alle Malstile seiner Zeit an – und wurde so zum wegweisenden Expressionisten. Das zeigen Museum Wiesbaden und Kunsthalle Emden akribisch genau.

Kunstfreunde kennen Alexej von Jawlensky (1864 – 1941) als russischen Exilanten, der um die vorvorige Jahrhundertwende in München wohnte, in Murnau mit Wassily Kandinsky und Gabriele Münter malte, zum Umfeld des „Blauen Reiter“ zählte und den Expressionismus in seiner süddeutschen Spielart mitbegründete.

 

Info

 

Horizont Jawlensky  Alexej von Jawlensky im Spiegel seiner künstlerischen Begegnungen 1900 – 1914

 

14.02.2014 - 01.06.2014

dienstags + donnerstags

10 bis 20 Uhr, mittwochs

bis 17 Uhr, freitags bis sonntags bis 18 Uhr 

im Museum Wiesbaden, Friedrich-Ebert-Allee 2, Wiesbaden

 

Katalog 28 €

 

Weitere Informationen

 

21.06.2014 - 19.10.2014

täglich außer montags

10 bis 17 Uhr, am Wochenende ab 11 Uhr in der Kunsthalle Emden, Hinter dem Rahmen 13, Emden

 

Weitere Informationen

 

Alles richtig – aber nur ein kleiner Ausschnitt aus seiner Biographie, der seiner künstlerischen Vielseitigkeit keinesfalls gerecht wird. Das zeigt eine große Gedenkausstellung zum 150. Geburtstag, die ihm das Museum Wiesbaden ausrichtet; sie wandert anschließend nach Emden. In der hessischen Landeshauptstadt lebte Jawlensky ab 1921 bis zu seinem Tod 1941; das Museum besitzt die weltweit größte Sammlung seiner Werke.

 

Halb von ihm, halb von Anderen

 

Die Schau ist keine klassische Retrospektive. Sie will nicht nur den Jubilar präsentieren, sondern auch sämtliche Künstler, die ihn beeinflussten und prägten. Und das sind viele: Die knapp 180 ausgestellten Gemälden stammen nur zur Hälfte von ihm selbst; alle übrigen von insgesamt 39 Vorläufern und Zeitgenossen.

 

Von Ilja Repin über Franz von Stuck, Franz Lenbach, Corinth, Munch, Van Gogh, Cézanne, Gauguin, Hodler, Matisse, Franz Marc, Kandinsky u. v. m. – die Liste liest sich wie ein Who is who der (Proto-)Moderne. Damit das Vorhaben überschaubar bleibt, beschränkt sich die Schau auf die 18 Jahre von Jawlenskys Ankunft in München 1896 bis zu seiner Emigration in die Schweiz bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs.

Interview mit Kurator Roman Zieglgänsberger + Impressionen der Ausstellung


 

Wer regte Jawlensky wann und wie an?

 

Nun sind Ausstellungen des Typs „XY und seine Zeit“ nicht selten: Gern garniert man Arbeiten der Zentralfigur mit passenden Bildern aus dem Fundus. Davon unterscheidet diese Unternehmung ihr Ehrgeiz, detailliert nachzuweisen, wann der Exilrusse welche Kollegen beachtet und Anregungen von ihnen in sein Schaffen übernommen hat. Es bietet sich für diese Analyse an: Wenige Künstler haben so rasch und häufig ihre Malweise geändert wie Jawlensky.

 

Nach der Ausbildung in Sankt Petersburg zog der 32-Jährige mit seiner ebenfalls malenden Mäzenin Marianne von Werefkin nach München; beide suchten die Nähe der dort residierenden „Künstlerfürsten“ Stuck und Lenbach. Da malte Jawlensky noch im dunkel präzisen Realismus seines Lehrers Ilja Repin; unter dem Einfluss deutscher Impressionisten wie Corinth und Slevogt lockerte sich seine Faktur auf.

 

1902 Pointillist, 1903 Van-Gogh-Adept

 

Dann ging alles sehr schnell. Um 1902 lernte er den französischen Pointillismus von Georges Seurat und Paul Signac kennen; nun tüpfelte er in leuchtenden Farben. Ein Jahr später sah er Bilder von Van Gogh; jetzt setzte er dynamische Schraffuren auf die Leinwand. Etwa 1904 in einem „Selbstbildnis mit Zylinder“, dessen Pinselführung in allen Bildzonen den Selbstporträts des Niederländers gleicht.

 

Das blieb nicht lange so. Jawlenskys Landschaften von 1906 zeigen Anleihen bei den Fauvisten: flächige Arrangements in intensiven, fast grellen Farben. Wenig später wird seine Palette gedämpfter, die Komposition strukturierter und ausbalancierter; wie bei Bildern von Cézanne. Um 1908 beschäftigt er sich mit Gauguin und übernimmt dessen Konturen, die tonige Farbfelder wie bei den französischen „Nabis“ eingrenzen.

 

Experimentierfreudiger Eklektiker

 

Bei Exkursionen mit Kandinsky und Münter ins voralpine Murnau am Staffelsee findet Jawlensky bis 1910 zu dem Stil, mit dem er als bedeutender Expressionist in die Kunstgeschichte eingeht. Seine Landschaften und Porträts sind stark konturiert und auf das Wesentliche reduziert;  Komplementärfarben und sparsam gesetzte Akzente verleihen ihnen enorme Ausdruckskraft.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "1914 - Die Avantgarden im Kampf" in der Bundeskunsthalle, Bonn

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung “1913: Bilder vor der Apokalypse”  mit Werken von Kokoschka, Marc + Schiele im Franz Marc Museum, Kochel am See

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung “1912 – Mission Moderne - zur Jahrhundertschau des Sonderbundes mit Werken von Van Gogh, Cézanne + Gauguin im Wallraf-Richartz-Museum, Köln

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung “Der Sturm – Zentrum der Avantgarde” mit Werken des Expressionismus im Von der Heydt-Museum, Wuppertal

Man muss nicht der Argumentation folgen, dass Jawlensky alle damaligen Zeitströmungen verarbeitet und zur Super-Synthese der Moderne fortentwickelt hat. Damit erweist das Museum Wiesbaden seinem Hausheiligen wohl etwas zuviel der Ehre. Dennoch verblüfft, wie flexibel er sich fast im Jahrestakt neue Malweisen aneignete: ein experimentierfreudiger Eklektiker der Moderne.

 

Akademische Akribie verwirrt

 

Was die Hängung überzeugend vorführt, nach dem Muster: hier das Original, daneben Jawlenskys Variation – die im Vergleichstest oft nicht gerade hervorsticht. Deutlich wird, dass da jemand eifrig diverse Vorbilder nachahmt, ohne deren Mittel ebenso virtuos zu beherrschen. Erst um 1910 findet er zur eigenen Handschrift, die seine Bilder unverwechselbar macht. Den windungsreichen Weg dorthin durch alle Etappen nachzuvollziehen, ist durchaus spannend.

 

Allerdings nur, wenn man aufmerksam das kostenlose Begleitheft liest; die Säle selbst geizen mit Informationen. Dagegen quillt der Katalog davon über – seine Beiträge im hohen Ton ziehen mit akademischer Akribie so viele Querverbindungen, dass sie Nicht-Kunsthistoriker in ein Netz der Verwirrung einspinnen: Scheinbar waren alle Künstler mit allen in Kontakt und beeinflussten sich gegenseitig.

 

Spätwerk nur angedeutet

 

Zudem deutet die Ausstellung kaum an, was Jawlensky nach 1914 schuf: Von seinen Bilder-Serien aus der Schweiz ist nur ein Beispiel, von seinen Abstraktionen der 1920er Jahre paradoxerweise gar keines zu sehen – obwohl er sich längst in Wiesbaden niedergelassen hatte. Vielleicht hebt sich das Museum sein Spätwerk für eine große Retrospektive zum 80. Todestag im Jahr 2021 auf.