
Die Geschichte ist uralt: Eine gewaltige Flut überschwemmt als Strafe die Menschheit, nur wenige überleben in einem großen Boot. So schildert es vor fast 4000 Jahren ein altbabylonisches Epos. Sein Held wird rechtzeitig von einem der zerstrittenen Götter gewarnt und rettet sich in einem würfelförmigen Schiff.
Info
Noah - Das Ende ist erst der Anfang
Regie: Darren Aronofsky,
138 Min., USA 2014;
mit: Russell Crowe, Jennifer Connelly, Anthony Hopkins, Emma Watson
Passion Christi brachte 600 Millionen
Warum, um Himmels Willen, erzählt jemand diese Geschichte heute noch einmal? An biblische Stoffe haben sich Hollywood und andere blockbuster-Regisseure seit der blutigen „Passion Christi“ von Mel Gibson nicht mehr herangetraut. Die spielte 2004 immerhin mehr als 600 Millionen Dollar ein: Fromme Christen sind ein großes Zielpublikum.
Offizieller Filmtrailer
Bibel-Riesen bauen an der Arche mit
Doch Darren Aronofsky wird kaum die Hoffnung hegen, mit seinem Film den Glauben wieder zu beleben. Persönliche Verbindungen zum Thema – Aronofsky gewann als 13-Jähriger für sein Schul-Gedicht über Noah einen Preis – sind hübsch, aber unerheblich. Was also haben wir mit dem Arche-Baumeister und der Sintflut zu tun?
Offenbar ziemlich wenig. Das zeigt schon Aronofskys eigentümliche Idee, sehr früh ein Geschlecht von Lichtwesen einzuführen, die in Stein verbannt sind – inspiriert von den Nephilim, die im Alten Testament als Riesen oder gefallene Engel auftreten. Im Film gehen die erlösungsbedürftigen Giganten Noah (Russell Crowe) auf der größten Baustelle der damaligen Welt hilfreich zur Hand.
Weiser Zauberer + böser König
Schon diese Idee macht deutlich, dass der Regisseur Aronofsky nicht nur auf den Spuren der Heiligen Schrift, sondern ebenso in den Gefilden der Fantasy wandelt. Auch Noahs Vater Methusalem (Anthony Hopkins) gehört in diesen Umkreis: ein alter weiser Zauberer, der in einer Höhle nur von Feuchtigkeit zu leben scheint. Wie einst der gute Sünder Gregorius von Milch, die aus seinem Felsen sickerte, in der mittelalterlichen Verslegende des Hartmann von Aue.
Selbst der böse König Tubal-Cain (Ray Winstone), der mit Soldaten und Volksmassen vor den Wassern flieht, um als Vorbote der kommenden Flut an Noahs Arche heranzubranden, wirkt wie der „Herr der Ringe“-Saga entsprungen: als machtlüsterner Schlachtherr personifiziert er jene moralische Finsternis, die Gott über seine Schöpfung verzweifeln ließ.
Zweiter Abraham wird Schwert Gottes
Zur fantastischen kommt eine sehr bürgerliche Erzählschicht – die ebenfalls wenig mit der Bibel zu tun hat. Noahs liebende Frau (Jennifer Connelly) und seine drei Söhne vertrauen ihm, seinen Träumen, Visionen und Intuitionen zunächst vollkommen. Die Glaubwürdigkeit des Patriarchen stellt auch Regisseur Aronofsky keinen Moment infrage.
Doch Noahs Allmacht wird bald zum familiären Problem. Sowohl für seinen aufsässigen Sprössling Ham, der sich vergeblich ein Weib wünscht, als auch für seinen folgsamen Sohn Shem und seine schöne Frau Ila („Harry Potter“-Star Emma Watson) droht er zum Schicksal zu werden. Als Ila schwanger wird, entwickelt sich Noah als zweiter, besessener Abraham zum Schwert Gottes: Das Menschheits-Gezücht soll nicht einmal mehr in seinen eigenen Nachkommen fortleben.
Genesis mit Evolution im Zeitraffer versöhnt
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
Lesen Sie hier ein Interview mit Darren Aronofsky über seinen Noah-Film
und hier einen Bericht über den Film "Pompeii" - Antike-Action-Spektakel von Paul W.S. Anderson
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Uruk: 5000 Jahre Megacity" - über eine der ältesten Städte der Welt in Berlin + Herne
und hier einen kultiversum-Beitrag über den Film “Agora – Die Säulen des Himmels” von Alejandro Amenábar über die Zerstörung der antiken Bibliothek von Alexandria.
Der Mut, leben zu lassen, wird zur Herausforderung für den Menschen; das kündigt die Frohe Botschaft des Neuen Testaments an. Nicht zufällig versöhnt Regisseur Aronofsky in einer Zeitraffer-Animation die Genesis der Bibel mit der Evolutionstheorie. Analog dazu macht Noah in seiner Lebensspanne die Geschichte der Zivilisation durch: bis zum Menschen, der die auferlegte Freiheit mit Liebe auf sich nimmt.
Gott sei Dank keine Mission
Dazu kommen großformatige, bis an die Kitschgrenze getriebene Bildwelten: die schöne Lebensfeindlichkeit der Wüste. Im Eiltempo empor sprießende Bäume. Einfliegende Vogelschwärme und allerlei Getier im gewaltigen Archen-Sarg, den die Wassermassen verschlucken und wieder freigeben.
Russell Crowe als Noah hat man seit dem „Gladiator“ nicht mehr so einsam und zerrissen erlebt; Anthony Hopkins noch nie so kurios entrückt. Emma Watson ist eine rührende, immer noch kindliche Urmutter des nachsintflutlichen Menschengeschlechts; Jennifer Connelly eine zwar blasse, doch vorbildlich engagierte Gattin. Und Gott sei Dank unterlässt der Film eines: missionieren.