Berlin

8. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst

Andreas Angelidakis: Crash Pad (Installationsansicht), Foto: Uwe Walter. Fotoquelle: KW Institute for Contemporary Art, Berlin
Neuer Spielplatz, alte Schwächen: Die Biennale rückt in die Museen Dahlem ein, ignoriert aber deren Weltklasse-Bestände. Stattdessen frönen Werk-Serien reihenweise der Tonnenideologie: Mehr ist besser! Dieses überflüssige Spektakel gehört entsorgt.

Selbstfindung nach pubertärer Identitätskrise: Im 16. Jahr ihres Bestehens wagt die Berlin-Biennale einen großen Sprung nach vorn. Aus dem Kreativen-Ghetto Berlin-Mitte, wo Gentrifizierung und Galerien-Kommerz kaum noch Raum für rebellische Kunst lassen, stößt sie subversiv in eine Hochburg des Kapitals vor: das Villenviertel im Südwesten der Stadt.

 

Info

 

8. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst

 

29.05.2014 - 03.08.2014

täglich außer montags 10 bis 18 Uhr, am Wochenende ab 11 Uhr in den Museen Dahlem, Lansstr.8, und dem Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, Berlin-Zehlendorf, sowie:
täglich außer montags 12 bis 22 Uhr in den Kunst-Werken (KW Institute for Contemporary Art), Auguststr. 69, Berlin-Mitte

 

Kurzführer 12 €

 

Weitere Informationen

 

Haupt-Kurator Juan A. Gaitán, Kanadier kolumbianischer Herkunft, hat zwei neue Standorte aufgetan: das Haus am Waldsee, Domizil des Kunstvereins im Bezirk Zehlendorf, und die Museen Dahlem. Zwar bleiben die Kunst-Werke in Mitte, die sich mittlerweile hochtrabend KW Institute for Contemporary Art nennen, Stammhaus der Biennale. Doch die meisten Beiträge der rund 50 Künstler werden in Dahlem gezeigt.

 

Kaum Besucher im Beton-Komplex

 

Eine weise Entscheidung: Die drei dortigen Museen benötigen dringend eine Frischzellenkur. Ihre Bestände völkerkundlicher und außereuropäischer Kunst zählen zu den größten und bedeutendsten weltweit – neben dem Louvre oder British Museum. Doch kaum jemand kennt sie: Seit der Wiedervereinigung ist der sanierungsbedürftige Beton-Komplex aus den 1970er Jahren weitab vom Schuss; dorthin verirren sich nur noch wenige Besucher.

Impressionen der Ausstellung in den Museen Dahlem + KW Kunst-Werken


 

Nomadisierende Kunst für globalen Markt

 

Deshalb sollen die Sammlungen ins Berliner Stadtschloss umziehen, das im Zentrum neu errichtet wird: Um als „Humboldtforum“ Scharen von Touristen für fremde Kulturen zu begeistern. Dafür laboriert das „Humboldt Lab“ an zeitgemäßen Präsentationsformen, die es bislang auf drei „Probebühnen“ vorgestellt hat; der Beifall hielt sich in Grenzen. Eine geballte Konfrontation mit Gegenwartskunst könnte also Dahlem durchaus inspirieren.  

 

Die Biennale-Teilnehmer bringen dazu beste Voraussetzungen mit: Etwa jeder zweite kommt aus Schwellenländern oder hat dort seine Wurzeln. Allerdings lassen sich die wenigsten auf diese grandiosen Schatzkammern für alle Weltkulturen ein. Die meisten inszenieren ihre Beiträge wie in einer x-beliebigen white cube gallery: Nomadisierende Kunst für den globalen Markt.

 

Stroboskop-Flackern in der Goldkammer

 

Co-Kurator Olaf Nicolai bemalt die Eingangshalle mit Mustern aus einem leer stehenden Einkaufszentrum in Ostberlin: Dort hätte er die Biennale gern einquartiert, durfte aber nicht. Carsten Höller lässt in der „Goldkammer“ für altamerikanischen Schmuck Stroboskop-Licht flackern; für Epileptiker ungeeignet. Alberto Baraya aus Kolumbien stopft Plastik-Blumen in Vitrinen – reihenweise. Wie viele weitere Künstler: Serienfertigung ist das heimliche Motto dieser Biennale.

 

Eine Zeichnung oder Bild pro Künstler reichen nicht; ein Dutzend sollte es schon sein. Das füllt die Räume, steigert den Marktwert und beschleunigt den Rundgang. Hat man einen appetizer gesehen, kann man sich den Rest denken und schenken: ob Anti-Rassismus-Kritzeleien (Gordon Bennett), Scherenschnitt-Aquarelle (Beatriz González), Verse auf Wandtafeln (Saâdane Afif), Blätter in Wasserfarben (Irene Kopelman), Fotos abgetragener Friedhöfe (Santu Mofokeng) oder Politiker-Porträts (Tonel). Die Reihe wird fortgesetzt.

 

Tonnenideologie für den Kunstbetrieb

 

Für solche Massenproduktion spricht einiges. Banale oder dürftige Einfälle entfalten durch Wiederholung mehr Wucht und Überzeugungskraft. Zugleich entlastet es den Kurator, wenn jeder Künstler zehn laufende Meter belegt: Die Kapazität ist bald ausgeschöpft. Überdies schätzt das Publikum die Wiedererkennungs-Effekte bei Variationen des Immergleichen. Schließlich werden dicke Konvolute höher bezahlt als einzelne Blätter. Tonnenideologie, einst vom real existierenden Sozialismus erfunden, bestimmt auch den Kunstbetrieb: Mehr ist immer besser!

 

Wer Stift oder Pinsel scheut, greift zur Kamera: Film definiert sich als Bilder in Serie. Also wird ausgiebig gedreht: Luftaufnahmen von Englands Küste und Wüste in Texas (Rosa Barba), Silberminen in Peru über und unter Tage (David Zink Yi), Fließbandproduktion in China (Li Xiaofei) oder unsichtbare Nanotechnik-Experimente (Tacita Dean). Dass Filme am Schneidetisch entstehen und Menschen jedes Motiv binnen Sekunden erfassen können, wird souverän ignoriert: Unbeweglich draufhalten sorgt für lange Laufzeit.