Mit grimmiger Skepsis blickt der hagere Otto Dix den Betrachter an; dagegen zeigt sich Max Beckmann in blasierter Nonchalance am Fenster der Villa Romana. In frühen Selbstporträts nehmen beide Maler selbstbewusste, auf Wirkung bedachte Posen ein. Dix, dessen Vater Eisengießer und Mutter Näherin war, stilisierte sich stets als Arbeiterkind, während der Müllersohn Beckmann stark zum gehobenen Bürgertum tendierte.
Info
Dix/Beckmann:
Mythos Welt
11.04.2014 – 10.08.2014
täglich 10 bis 20 Uhr
in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, Theatinerstraße 8, München
Katalog 25 €
Von Vincent van Gogh inspiriert
Dix und Beckmann verkehrten zwar in den gleichen Kreisen und stellten in denselben Galerien aus, doch ist unklar, ob sie sich jemals persönlich begegnet sind. Sie hätten sich wohl kaum verstanden, denn der Gegensatz in ihrer Selbst- und Weltsicht könnte größer kaum sein – obwohl beide Künstler sich von Vincent van Gogh inspirieren ließen, wie frühe Landschafts-Gemälde erkennen lassen.
Kriegsgrauen als Symbolik + Getümmel
Beide wurden auch von schlimmen Erfahrungen in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs geprägt. Dix hatte sich 1914 freiwillig gemeldet, Beckmann war widerwillig als Sanitäter in den Krieg gezogen. Bereits nach acht Monaten erlitt er einen Nervenzusammenbruch und konnte sich dem Morden entziehen; Dix erlebte bis Kriegsende das Massensterben an der Front.
Beide dokumentierten später die Schrecken des Krieges vor allem in ihrem graphischen Werk. Dix muss dem grausamen Sterben genau zugeschaut haben, um derart wirkmächtige, aber auch stark aufs Symbolische reduzierte Bilder zu finden wie etwa im „Zyklus Krieg“. Beckmann lässt in seinen Radierungen eher das Leid des Einzelnen im Getümmel untergehen, so auf dem Blatt „Granate“.
Auf dem Jahrmarkt, im Zirkus + Bordell
Nach dem Ersten Weltkrieg widmet sich Dix dem falschen Glanz und dem wahren Elend der Weimarer Republik; er malt die Hungrigen, die Huren und Krüppel. Sein Verismus gerade in den Porträts ist schonungslos – auch gegenüber den Dargestellten. Deren Eigenheiten werden stark überzeichnet: etwa der weibische Juwelier Karl Krall oder der feiste Star-Schauspieler Heinrich George. Beckmann hingegen schleift Kanten ab und typisiert, wie „Junger Argentinier“ oder „Bildnis eines Türken“ schon im Titel zeigen.
Beide Künstler sind gleichermaßen fasziniert von der Halbwelt; sie tummeln sich auf dem Jahrmarkt, im Zirkus und Bordell. Beckmanns Bilder entrücken die Sujets aber leicht der Wirklichkeit: Seine Protagonisten wirken selten wie echte Menschen. Er zeigt seine Eindrücke eher als zeitlos abstrahierte Blicke auf die Nachtseite der Gesellschaft. Die Macken der schrägen Gestalten von Dix, der selbst der blühenden Schönheit in „Vanitas“ einen hässlichen Zug gibt, tun mehr weh.
Entlassene entartete Künstler im Exil
Die NS-Machtübernahme bedeutet ebenfalls für beide einen biographischen Bruch. Sie gelten als „entartete Künstler“ und werden 1933 von ihren Professoren-Posten als entlassen; Beckmann lehrte zuvor in Frankfurt, Dix in Dresden. Beckmann emigriert 1937 nach Amsterdam und geht später nach New York.
Dix zieht sich ins „innere Exil“ am Bodensee zurück, wo er sich einer – oft endzeitlich gestimmten – Landschaftsmalerei und Darstellung biblischer Themen widmet. Manchmal lodert der Himmel wie in „Abendstimmung bei Wangen“, oft erscheint Licht jedoch als Hoffnungsschimmer: als Regenbogen oder Sonne, die hinter Wolken durchblitzt.
Missverständliche „Deutsch“-Tradition
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "1914 - Die Avantgarden im Kampf" - mit Werken von Dix + Beckmann in der Bundeskunsthalle, Bonn
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Blickwechsel: Pioniere der Moderne" - mit Werken von Dix + Beckmann in der Neuen Pinakothek, München
und hier einen Beitrag über den Dokumentarfilm "Max Beckmann – Departure" über sein gleichnamiges Hauptwerk im MoMA von Michael Trabitzsch.
In dieser opulenten Schau mit etwas beliebig wirkender Bilder-Auswahl fällt ihr Versuch, das „Deutsche“ an Dix und Beckmann zu sezieren, wenig erhellend aus: Dass „deutsch“ nicht stilistisch gemeint ist, sondern eine künstlerische Tradition bezeichnen soll, bleibt missverständlich. Im weiteren Sinne „deutsch“ an Dix und Beckmann ist eher ihre Perspektive auf die Welt ihrer Epoche und der Umgang mit ihren gebrochenen Lebenswegen.
Späte Werke setzen sich häufig mit biblischen Themen auseinander, etwa Dix’ „Große Kreuzaufrichtung“ oder Beckmanns „Abstürzender“, eines seiner letzten Gemälde. Da kommen sich beide fast am nächsten – im Interesse an einem Leben, das über den Tod hinausgeht.