Frankfurt am Main

Emil Nolde – Retrospektive

Ekstase (Detail), 1929; Öl auf Leinwand, © Nolde Stiftung Seebül. Foto: Städel Museum
Nazi-Opfer oder Mitläufer? Vor allem letzteres, zeigt das Städel Museum mit dem ersten Rückblick auf Noldes Riesenwerk seit 25 Jahren. Der Opportunist und Hitler-Bewunderer log und denunzierte skrupellos – aber ging künstlerisch unbeirrt seinen Weg.

Ach, Nolde! Bilder von ihm sind allgegenwärtig: Jeder hat welche gesehen, der je ein Museum der klassischen Moderne betrat. Sie gehören zur optischen Ausstattung der alten Bundesrepublik wie VW Käfer und „tagesschau“-Signet. Zu Noldes zahllosen Fans zählen auch deutsche Regierungschefs – in einer Großen Koalition der Kunstfreunde.

 

Info

 

Emil Nolde - Retrospektive

 

05.03.2014 - 15.06.2014

täglich außer montags

10 bis 20 Uhr, donnerstags + freitags bis 22 Uhr im Städel Museum, Schaumainkai 63, Frankfurt am Main

 

Katalog 39,90 €

 

Weitere Informationen

 

Helmut Schmidt richtete ihm 1982 eine Gemälde-Schau im Kanzleramt aus und machte Ferien auf der Ostsee-Insel Alsen, wo Nolde ab 1903 gewohnt hatte. Wer heute im Büro von Angela Merkel empfangen wird, sitzt ebenfalls unter zwei Nolde-Bildern. Auf seine farbenfroh leuchtenden Blumenbeete, Landschaften und Seestücke können sich alle einigen.

 

Riesenwerk nach 88 Jahren

 

Doch gerade seine Omnipräsenz verstellt den Blick darauf, wer Nolde wirklich war und was seine Malerei ausmacht. Das liegt am Riesenwerk des produktiven Künstlers, der erst mit 88 Jahren 1956 starb: Mehr als 1350 Gemälde, 500 Grafiken, Tausende von Aquarellen und Zeichnungen plus Plastiken und Kunsthandwerk – dieses gigantische Œuvre überblicken nur Spezialisten.


Impressionen der Ausstellung


 

Berlin will keinen Nolde sehen

 

Zudem ist ein Großteil eher entlegen. Die umfangreichste Sammlung besitzt die Nolde Stiftung an seinem letzten Wohnsitz in Seebüll, direkt an der deutsch-dänischen Grenze. Hierher kommen alljährlich mehrere 10.000 Besucher; wohl meist Sylt-Urlauber auf der Durchreise.

 

2007 eröffnete die Stiftung einen Ableger in Berlin, was zu Noldes Biographie passte: Ab 1905 verbrachte er die Winter meist in der Hauptstadt. Doch seit fünf Wochen ist diese Dependance geschlossen: Ihre geruhsamen Betrachtungen zu einzelnen Werk-Aspekten waren vermutlich zu old school für die neuerungssüchtige Kunstkapitale.

 

Extreme Widersprüche erfolgreich kaschiert

 

Nun ist Nolde wieder in der Mitte der Republik angekommen: Das Frankfurter Städel widmet ihm laut eigenen Angaben die erste Retrospektive seit 25 Jahren. Sie kombiniert Bestände der Stiftung Seebüll mit Leihgaben von 20 Museen – und siehe da: Die rund 140 Werke aus allen Schaffensphasen zeigen einen Maler voller Widersprüche.

 

Das ist eine so zutreffende wie triviale Feuilleton-Phrase: Welcher Mensch wäre nicht voller Widersprüche? Künstler machen da keine Ausnahme. Doch bei Nolde fielen sie extrem aus – obwohl es ihm zeitlebens bestens gelang, das zu verbergen. So blieb er der Nachwelt als geheimnisvolles Mal-Genie aus dem hohen Norden in Erinnerung.

 

In mehr Museen als jeder andere Künstler

 

Er war dänischer Staatsbürger, weil seine Heimat Nordschleswig ab 1920 von Kopenhagen regiert wurde, gerierte sich aber als deutschtümelnder Nationalpatriot. Er nannte sich einen „ungeschickten Jungen vom Lande“, ritt aber 1910 eine ruchlose Frontalattacke auf den Secessions-Präsidenten Max Liebermann, bis der ihn hinauswarf; der Skandal machte Nolde reichsweit bekannt.

 

Er schwärmte vom einfachen und unverfälschten Landleben, wohnte aber im Winterhalbjahr in der Millionenmetropole Berlin. Er trat als schweigsamer, tiefsinniger Sonderling auf, der nur für seine Kunst lebte; doch als begnadeter Netzwerker knüpfte und pflegte er gemeinsam mit seiner dänischen Frau Ada viele Kontakte zu Sammlern, Händlern und Museumsleuten. Während der Weimarer Republik war Nolde in mehr deutschen Museen vertreten als jeder andere lebende Künstler.

 

„Der Führer ist groß u. edel“

 

1913 reiste Nolde mit einer Expedition in die Südsee, um „von jeder Zivilisation unberührte Erstheiten kennenzulernen“. Dort bewegte er sich aber im kolonialen Rahmen und trug nur Folklore heim: Seine ekstatischen „Tänzerinnen“ bebildern schwüle Träume eines Stubenhockers.

 

Der sich vorbehaltlos für Adolf Hitler begeisterte: „Der Führer ist groß u. edel u. ein genialer Tatenmensch“, notierte er im November 1933 nach einem NS-Empfang, auf dem er als Ehrengast neben SA-Chef Ernst Röhm saß. Freudig begrüßte Nolde die Machtübername: Er trat einer NS-Organisation bei und hoffte, zum Staatskünstler des neuen Regimes aufzusteigen.

 

Nur Hitlers Geschmack entscheidet

 

Doch Parteigänger, die seinen Expressionismus zum urdeutschen Stil der Gegenwart erklären wollten, unterlagen: Ausschlaggebend war Hitlers spießiger Kunstgeschmack. Da half Nolde wenig, dass er ab 1934 in einer vierbändigen Autobiographie sein Leben episch nacherzählte – und linientreu frisierte.