Bonn

Kasimir Malewitsch und die russische Avantgarde

Selbstporträt (Detail), 1908–1910, Aquarell und Gouache auf Papier. Foto: Bundeskunsthalle
Der Stalin der Malerei: Malewitsch trieb den Rigorismus der klassischen Moderne auf die Spitze. Dem Erfinder des Suprematismus widmet die Bundeskunsthalle eine glänzend bestückte Retrospektive – mit Werken aller Phasen vor und nach dem Schwarzen Quadrat.

Als das Stedelijk Museum in Amsterdam 1989 dem Werk von Kasimir Malewitsch (1879–1935) die erste umfassende Retrospektive widmete, erregte das viel Aufsehen. Der Erfinder des „Schwarzen Quadrats“ war im Westen kein Unbekannter und das Interesse am Suprematismus, seinem Beitrag zur klassischen Moderne, groß.

 

Info

 

Kasimir Malewitsch und die russische Avantgarde

 

08.03.2014 - 22.06.2014

dienstags + mittwochs

10 bis 21 Uhr, donnerstags – sonntags bis 19 Uhr

in der Bundeskunsthalle, Friedrich-Ebert-Allee 4, Bonn

 

Katalog 32 €

 

Weitere Informationen

 

Es war die Zeit der Perestroika: Die kriselnde Sowjetunion rehabilitierte ihre lange geächtete Avantgarde-Kunst aus den 1910/20er Jahren. Sie passte trefflich zur damaligen Aufbruchstimmung: Ihre Stilelemente fanden Eingang in Popkultur und Reklame; die von ihr inspirierte Soz-Art wurde zum letzten Schrei auf dem Kunstmarkt.

 

Nicht eingelöstes Versprechen

 

Wenn ein Vierteljahrhundert später die Londoner Tate Modern Gallery, das Stedelijk und die Bundeskunsthalle gemeinsam eine neue Malewitsch-Werkschau auf die Beine stellen, hält sich die Aufregung in Grenzen. Russland flößt nicht mehr Neugier, sondern erneut Furcht ein. Da wirkt die alte Sowjet-Avantgarde wie die Erinnerung an das Versprechen eines kulturellen Neuanfangs, das nach dem Mauerfall nicht eingelöst worden ist.


Impressionen der Ausstellung


 

Aussagekräftigster russischer Künstler

 

Insofern ist diese Ausstellung unzeitgemäß. Dennoch verdient sie Beachtung: Mag auch Malewitsch nicht in Mode sein, so sagen doch Person und Werk viel über russische Kultur aus – wohl mehr als bei jedem anderen russischen oder (post-)sowjetischen Künstler. Zumal der ganze Avantgarde-Komplex mittlerweile gut erforscht ist: Archive wurden durchforstet, etliche Überblicks-Schauen haben alle Aspekte des Themas dokumentiert.

 

So kann diese Ausstellung mit rund 300 Exponaten von ihm und seinen Weggefährten alle Schaffensphasen gleichermaßen beleuchten: nicht nur den Malewitsch, der 1915 mit Aplomb den Suprematismus ausrief, sondern auch den fiebrig suchenden Kunst-Revoluzzer der Vorjahre. Sowie den nimmermüden Theoretiker und Lehrer der 1920er Jahre – und seinen vieldeutigen Spätstil ab etwa 1930.

 

Eigene Handschrift als Neoprimitivist

 

Als Kind polnischer Eltern wurde Malewitsch 1879 in Kiew geboren. Er malte als Autodidakt und zog erst mit 25 Jahren nach Moskau, um Kunst zu studieren. Dort sieht er 1904 Gemälde französischer Impressionisten – sein Initiationserlebnis. In rascher Folge erprobt er westliche Stilrichtungen und malt nach dem Vorbild von Pointillisten, Symbolisten und Fauvisten: Etüden eines begabten Epigonen.

 

1910 schließt er sich den „Neoprimitivisten“ an; sie suchen einen nationalen Stil und machen Anleihen bei russischer Volkskunst. Malewitsch‘ Gemälde von Bauern und Arbeitern zeigen nun erstmals eine eigene Handschrift. Ausdrucksstarke Gestalten wie „Der Schnitter“ (1912) sind zu einfachsten Formen verknappt; deren Beleuchtung und Schattierung von allen Seiten weist auf den Kubismus hin.

 

Sieg über die Sonne in Zaum-Sprache

 

Dem wendet er sich als „Kubofuturist“ zu; er will die Zerlegung der Objekte mit der Dynamik des Futurismus verbinden. Dann geht es Schlag auf Schlag: Ende 1913 wird in Petersburg die futuristische Oper „Sieg über die Sonne“ in der „transrationalen“ Kunstsprache Zaum aufgeführt. Für dieses legendäre Avantgarde-Spektakel liefert Malewitsch die Kostüme.

 

Im Februar 1914 proklamiert er den „Alogismus“. Dabei kombiniert er erkennbare Bildelemente zu rätselhaften Konstellationen. Er kann aber auch ganz anders: Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs zeichnet er Propaganda-Karikaturen in der Art volkstümlicher Lubok-Bilderbögen. All das sind Vorstufen für einen Paukenschlag.

 

Schwarzes Quadrat anstelle der Ikone

 

Im Dezember 1915 veröffentlicht Malewitsch sein „Suprematistisches Manifest“ zur Eröffnung der „Letzten Futuristischen Ausstellung 0,10“ in Petrograd. Einen Raum füllen 39 Gemälde von ihm; in der Raumecke hängt das berühmte „Schwarze Quadrat“. Dieser Platz ist in russischen Wohnungen traditionell einer Ikone vorbehalten – der Skandal ist perfekt.

 

Dass Malewitsch keine billige Provokation im Sinn hatte, weist die Ausstellung anschaulich nach: mit drei orthodoxen Ikonen, die in die Schau integriert werden. Sie demonstrieren, dass seine gegenstandslosen Kompositionen – die so radikal und ohne Vorbild erscheinen – an Gestaltungsprinzipien von Ikonenmalerei orientiert sind: mit einem Bildaufbau, der sich auf geometrische Grundformen und wenige Primärfarben beschränkt.