Leipzig

Es drängt sich alles zur Landschaft… – Landschaftsbilder des 19. Jahrhunderts

Friedrich Helmsdorf: Blick auf die Peterskirche in Rom, 1818, 42,3 x 53,7 cm, Aquarell, Deckfarben, Bleistift. Fotoquelle: Museum der bildenden Künste Leipzig
Aus wilder Natur soll Landschaft werden: Ab 1800 kombinieren Maler exakte Umwelt-Beobachtung mit symbolischer Überhöhung. Wie Natur von der Hintergrund-Kulisse zur Hauptfigur aufstieg, zeigt ein weit gespannter Überblick im Museum der bildenden Künste.

Wer aus Berlin für eine Ausstellung von Landschaftsmalerei nach Leipzig reist, kann sich schon auf dem Weg mit Landschaft auseinandersetzen. Im Berliner Umland gibt es davon wenig – jedenfalls, wenn man dabei an malerisch oder wild gestaltete Natur denkt, die Blick und Gefühl auffordert, sie zum kulturellen Begriff von Landschaft aufzuwerten.

 

Info

 

Es drängt sich alles zur Landschaft... –

Landschaftsbilder des 19. Jahrhunderts

 

09.03.2014 - 22.06.2014

täglich außer montags 10 bis 18 Uhr, mittwochs 12 bis 20 Uhr im Museum der bildenden Künste, Katharinenstraße 10, Leipzig

 

Katalog 32 €

 

Weitere Informationen

 

Auch Leipzig liegt in einer eher öden Ebene. Wie im Berliner Urstromtal entstand hier Urbanität, aber eben keine Landschaft – ein Konzept, das im 19. Jahrhundert zu einem der wichtigsten Sujets der bildenden Kunst wurde. Also eine Landschaft, die weder nur den Hintergrund definieren, noch vordergründig heroisch sein sollte.

 

„Gartenreich“ als begehbares Kunst-Werk

 

Auf halber Strecke zwischen Berlin und Leipzig liegt jedoch Landschaft par excellence. Das Wörlitzer „Gartenreich“ wurde von 1769 bis 1813 angelegt; dieser Landschaftspark nach englischem Vorbild zählt heute zum Unesco-Weltkulturerbe. Hier verschmelzen Natur und Kultur zu einem begehbaren Kunst-Werk, das immer wieder wächst und welkt. Möbliert mit allem, was für die Zeitgenossen zum fühlenden Erkennen von Landschaft nötig war: Schlösser und Tempelchen, Grotten und Aussichtspunkte, Inseln und Klippen.


Impressionen aus dem Wörlitzer Gartenreich


 

Naturbeobachtung löst Antikenliebe ab

 

Ohne die Erfindung des Landschaftsgartens wäre auch die Ausstellung im Museum der bildenden Künste (MdbK) in Leipzig nicht denkbar. Ebenso wenig das titelgebende Dictum von Philipp Otto Runge: „Es drängt sich alles zur Landschaft…“, schrieb er um 1800. Damit setzte er sich gegen die Antikenliebe seiner klassizistisch orientierten Kollegen für eine entschieden landschaftliche Perspektive ein.

 

Allerdings ist die in seinen eigenen Blättern kaum nachzuvollziehen. Sein berühmter Grafik-Zyklus „Die Zeiten“ von 1807 illustriert Morgen und Abend, Tag und Nacht noch in strenger Symmetrie aus allegorischen Figuren und vegetabilem Rankwerk. Doch zeichnet sich schon ein Interesse ab, in vorromantischer Rührung der exakten Naturbeobachtung künstlerische Geltung zu verschaffen.

 

Natur als Landschaft begreifen + ordnen

 

Noch gibt es keine „Schule von Barbizon“, deren Mitglieder Mitte des 19. Jahrhunderts in den Wäldern um Paris Freilicht-Skizzen anfertigen. Noch hat auch Caspar David Friedrich nicht die Ostseeküste aufgesucht oder die Wirkung knorriger Eichen vor nächtlichem Mondlicht studiert. Aber es kündigt sich an, dass Künstler die Natur als Landschaft begreifen, indem sie ihre Unbestimmtheit nicht nur zu zähmen, sondern in vielerlei Absicht zu ordnen versuchen.


Impressionen der Ausstellung im Museum der bildenden Künste


 

Wasserfall nicht ohne Alibi-Figuren

 

Das Leipziger Museum kann für diese Schau aus dem Vollen eigener Bestände schöpfen. Die Bandbreite der rund 120 gezeigten Werke, davon zwei Drittel Gemälde, spannt einen großen Bogen: Den Anfang machen die geografisch fiktiven und idealisierten Landschaften von Jakob Philipp Hackert aus dem späten 18. Jahrhundert.

 

Joseph Anton Koch komponiert in seine Ideallandschaften schon botanisch aufmerksam festgehaltene Staffage-Pflänzchen oder macht sich sein persönlich-heroisches Bild von der Natur. Wie in seiner Ansicht des „Schmadribachfall im Lauterbrunner Tal“ von 1811, die freilich noch nicht ohne figuratives Alibi-Beiwerk auskommt.

 

Hinaus in Urwälder + an Steilküsten

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Weltsichten – Landschaft in der Kunst vom 17. bis zum 21. Jahrhundert"  -  im Kunstmuseum Dieselkraftwerk Cottbus

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Alpenglühen: Die Berglandschaft als Sehnsuchtsort" in der Malerei des 19. Jh. im Schlossmuseum Murnau

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Camille Corot: Natur und Traum" über den bedeutendsten französischen Landschaftsmaler des 19. Jh. in der Staatlichen Kunsthalle, Karlsruhe

 

und hier eine Rezension der Ausstellung "Kosmos Runge – Der Morgen der Romantik" zum Gesamtwerk von Philipp Otto Runge in Hamburg + München

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Der Rhein – Ritterburgen mit Eisenbahnanschluss" über die Entstehung der Rhein-Romantik im Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts, Baden-Baden

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung “Viaggio in Italia – Künstler auf Reisen 1770 – 1880” über Landschaftsmalerei in Italien in der Staatlichen Kunsthalle, Karlsruhe.

 

Bei den Romantikern kommt dann endgültig die Sehnsucht nach einer Naturkulisse auf, die wie Landschaft aussieht – auch in unserem heutigen Verständnis. Für Maler werden die Mittelgebirge attraktiv, noch vorhandene deutsche Urwälder und nordische Steilküsten.

 

Anstatt nach Italien reist man nun auch in die Eifel, in die Alpen oder nach Rügen, wo C.D. Friedrich 1825 die berühmten „Kreidefelsen“ aquarelliert. Ab den 1830er Jahren überwinden Künstler wie Carl Blechen allmählich ihre romantisch durchfärbte Empfindung zugunsten einer realistischer geprägten Landschafts-Wahrnehmung.

 

Symbolistische Überfrachtung

 

Je extremer sich Natur darbietet, desto mehr ringen die Maler um das Verhältnis von rationaler und emotionaler Perspektive. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelt die Landschaftsmalerei einen Stilpluralismus: religiöser Realismus bei Wilhelm Riefstahl mit „Die Segnung der Alpen“ (1882) oder kleinformatige Naturstudien von Karl Buchholz.

 

Max Klinger schafft expressive Aquarelle; Camille Corot oder Christian Rohlfs kultivieren einen wetterfühligen Naturalismus. Aber auch symbolistische Überfrachtung der Landschaft entsteht, etwa bei Arnold Böcklin in seiner Serie von „Toteninseln“.

 

Blick wie eine Aufklärungs-Drohne

 

Neben den großen Namen der Kunst des 19. Jahrhunderts lassen sich auch Entdeckungen machen: etwa zwei Gemälde des Münchener Malers Joseph Wenglein. In „Herbst im Oberbayerischen Moos“ (1888) durchbricht er im Gefolge einer Gruppe von Rehen eine triste Auenlandschaft; in „Spätherbst im Isarwinkel“ (1892) senkt er den Blick auf das Flussbett, als steuere er eine Aufklärungsdrohne dicht über den felsigen Boden.

 

Otto Modersohn kombiniert Impressionismus und Expressionismus. Wilhelm Busch strichelt fast so nervös wie Van Gogh. Und ein Gemälde wie der großformatige „Sonnenuntergang auf den Hebriden“ (1853/54) von Carl Robert Kummer erinnert mit seiner Dramatik an die fulminant übersteigerte Landschaftsmalerei von US-amerikanischen Zeitgenossen – im Angesicht der an sublimer Grandezza ungleich reicheren Natur der Neuen Welt.