Katell Quillévéré

Die unerschütterliche Liebe der Suzanne

Suzanne als Kind. Foto: Arsenal Filmverleih
(Kinostart: 19.6.) Verquaster Titel, ergreifender Film: Eine junge Frau brennt mit einem Dealer durch und wird aus Hingabe zum Drogen-Kurier. Diese fatale Amour fou erzählt Regisseurin Quillévéré als raffiniert konstruierte Langzeitbeobachtung.

Sich über deutsche Titel ausländischer Filme zu mokieren, ist unter Cineasten eine beliebte, wenn auch wohlfeile Übung. In diesem Falle wäre eine Beschwerde jedoch angebracht: Der Titel „Die unerschütterliche Liebe der Suzanne“ schickt Kinogänger auf eine ziemlich falsche Fährte. Wer ein episches Liebesdrama erwartet, dürfte zwar nicht enttäuscht, aber einigermaßen irritiert sein.

 

Info

 

Die unerschütterliche Liebe der Suzanne

 

Regie: Katell Quillévéré,

94 Min., Frankreich 2013;

mit: Sara Forestier, François Damiens, Adèle Haenel

 

Weitere Informationen

 

Suzanne (Sara Forestier) und ihre jüngere Schwester Marie (Adèle Haenel) haben eine glückliche Kindheit. Seit dem frühen Tod der Mutter kümmert sich ihr Vater, ein wortkarger Truckfahrer, rührend um sie. Fast symbiotisch sind die Geschwister miteinander verbunden – bis Suzanne plötzlich erklärt, sie sei schwanger.

 

Liebe auf den ersten Blick

 

Auch diese Krise übersteht die Familie. Der kleine Charlie wächst genauso behütet wie die Mädchen auf. Als Suzanne eines Tages Julien (Paul Hamy) kennen lernt, einen gut aussehenden Typen mit zweifelhaften Einkommensquellen, verliebt sie sich Hals über Kopf und verlässt für ihn Kind und Familie.


Offizieller Filmtrailer


 

Aus Liebe in die Halbwelt abtauchen

 

Eine Ausgangssituation, die viele Möglichkeiten der weiteren Entwicklung bietet. Die junge Regisseurin Katell Quillévéré hat sich dafür entschieden, den Lebensweg ihrer Hauptfigur konsequent nachzuzeichnen. Dabei ist ihr Film keine klassische Biografie, obwohl der erzählte Zeitraum gut 25 Jahre umfasst, sondern eher die elliptische Langzeitbeobachtung einer Frau, deren größter Fehler ist, sich in den falschen Mann zu verlieben.

 

Für Julien gibt Suzanne alles auf und taucht in die Halbwelt ab, in der er sich bewegt. Doch selbst da hält die Familie zu ihr und sorgt, so gut es geht, für ihren Sohn, der schließlich bei einer liebevollen Pflegefamilie untergebracht wird. Suzannes Schwester Marie, die inzwischen in der Stadt ihr eigenes Leben führt, und der Vater haben für den kleinen Charlie nicht genug Zeit.

 

Im Gefängnis wieder auftauchen

 

Das alles erfährt man wie nebenbei aus Gesprächen; überhaupt sind die meisten dramatischen Ereignisse in Suzannes Leben schon längst passiert, wenn die Geschichte weitergeht. Gezeigt werden nur die Ergebnisse ihrer Handlungen. So sieht man sie gut ein Jahr nach ihrem Verschwinden wieder, wie sie ins Gefängnis einrückt. Den Haftgrund erfährt man während einer Gerichtsverhandlung.

 

Auslassungen, Lücken und das Fehlen klassischer Erzählmuster machen den Film besonders einprägsam. Nur die Szene, in der Suzanne erstmals auf Julien trifft, erlebt man in Realzeit mit. Die Kamera bleibt immer nah an den Figuren, die dank hervorragender Schauspieler nahezu lebensecht wirken; auch das setting ist äußerst realitätsnah.

 

Mit Drogen aus Marokko nach Marseille

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films “Jackie - Wer braucht schon eine Mutter”tragikomisches Roadmovie von Antoinette Beumer mit Holly Hunter

 

und hier einen Bericht über den Film “We need to talk about Kevin” - Mutter-Kind-Drama mit Tilda Swinton von Lynne Ramsay

 

und hier einen kultiversum-Beitrag über den Film “Rückkehr ans Meer – Le refuge” - Drama einer drogensüchtigen Schwangeren von François Ozon.

 

Damit fordert dieser Film den Zuschauer nicht nur intellektuell, sondern auch emotional heraus: sei es aus Mitgefühl für diese vor Liebe reichlich blinde Frau oder auch aus Wut über ihre vermeintliche Dummheit. Dabei folgt sie „nur“ ihrem Traum von der großen Liebe und wird dabei zum gangster groupie, das seinem Dealerfreund nach der Haftentlassung nach Marokko folgt, obwohl sie gerade dabei ist, ein besseres Verhältnis zu ihrem Sohn aufzubauen.

 

Ein Foto mit ihrer neuen, kleinen Tochter ist das einzige Lebenszeichen für ihre Angehörigen, bis sie unter falschem Namen mit Mann, Kind und einem Auto voller Drogen wieder in Marseille auftaucht. Als sie vom Tod ihrer über alles geliebten Schwester Marie erfährt, bricht sie erstmals seelisch zusammen und beendet unvermittelt ihre Flucht – ausgelaugt und bereit, die Konsequenzen zu tragen.

 

Gesicht schreit nach Missbrauch

 

Das Gesicht von Hauptdarstellerin Sara Forestier ist so klar und arglos, dass es geradezu danach schreit, hintergangen oder missbraucht zu werden. Trotz vieler Tiefen verliert diese Suzanne nie ihre Würde oder ihren unbedingten Glauben an die Liebe. Das macht sie unangreifbar und ein wenig ätherisch, ganz im Gegensatz zu ihrer eher pragmatischen Schwester.

 

Dass ihr aber nicht nur die Liebe zum halbseidenen Julien Halt gibt, erkennt sie erfreulicherweise nicht zu spät. Am Ende sehen wir im Gefängnis die gesamte Restfamilie wieder: Vater, Tochter und ihre beiden Kinder– ein Moment des Glücks, das sich endlich auf Suzannes Gesicht widerspiegelt. Sie hat es verdient.